Kurzcheck: Darum geht es bei World of Warcraft: Das Brettspiel
World of Warcraft: Das Brettspiel ist für einen Veteranen des Computerspiels wie nach Hause kommen. Wirklich! Man hat hier vor lauter Liebe zum Detail Tränen in den Augen. Da wären Allianz gegen die Horde, also ein Teamspiel. Supercool! Alle Klassen der Classic-Version, die du unterschiedlich skillen und mit fettem Loot ausrüsten kannst und dabei extrem nah an der digitalen Vorlage kleben. Ich lasse hier schon die halbe Katze aus dem Sack: World of Warcraft: Das Brettspiel besitzt eines der besten Charakterprogressionen. Weiterer Baustein: Ereignisse, die passende Effekte ins Spiel bringen. Quests, bei denen du allein oder gemeinsam ikonische Monster von Azeroth vermöbelst und natürlich bekannte Oberschurken wie Nefarian oder Kel’Tuzad. Letzteres ist das Ziel! Die Fraktion, die zuerst innerhalb der 30 Runden den vorher ausgewählten Endboss besiegt, gewinnt das Spiel. Ansonsten gibt es am Ende noch eine PvP-Schlacht. Der Kampf zwischen Charakteren von Personen ist immer möglich, aus meiner Sicht aber nicht Hauptaugenmerk des Spiels.
Mechanisch basiert World of Warcraft: Das Brettspiel auf einem einfachen Aktionssystem, bei dem jeder Charakter zwei zur Verfügung hat (Bewegen, Ausruhen, Kämpfen usw.). Dabei spielt eine Fraktion komplett ihre Aktionen durch. Dann beginnt die andere Fraktion mit der nächsten Runde. Gekämpft wird mit Würfeln. Würfel hören sich unspektakulär an? Es ist so gut, dass es mich wundert, warum es kein anderes Brettspiel kopiert. Ihr wollt mehr? Dann folgt mir in die Details!
Schau mal! Schau mal! Schau mal!
Meine Frau sitzt neben mir, sie ist Druidin und steigt gerade eine Stufe auf. „Schau mal meine neue Katzengestalt, wie viele rote Würfel mir die jetzt bringt!“ Da wabern mir aufgeregte Worte meines Sohnes entgegen, der einen feindlichen Paladin spielt: „Papa, schau mal das neue epische Schwert, damit mache ich dich später platt!“ Dieser unscheinbare Ausruf „Schau mal“ ist hier so omnipräsent wie FOMO bei Kickstarter. Alle am Tisch wollen präsentieren, zu jeder Zeit! Was sie Neues gefunden oder gelernt haben. Was sie jetzt anderes können. Wo sie sich absetzen und besser geworden sind.
Es ist der Kern des Spielspaßes! Der Weg der Charakterprogression ist das Ziel, fast weniger das Spiel zu gewinnen. Wie bei der digitalen Vorlage. Es macht einfach irre Spaß aus diversen Fähigkeiten, Talenten und gefundener Ausrüstung, die übrigens massenhaft im Spiel vorhanden ist, bei begrenztem Platz und den Reglementierungen der Klassen, sich immer wieder aufs Neue auszutoben. Außer den ganz großen Dungeon Crawlern gibt es kaum solch umfangreiche und abwechslungsreiche Charakterprogression. Der Unterschied, dort geschieht das in der Regel über mehrere Szenarien, hier in einer Partie. Bemerkenswert und der absolute Hammer, vor allem wenn man die digitale Vorlage kennt!
Wo bleibt die Kopie?
Grandios ist auch das Kampfsystem und ich wundere mich schon viele Jahre, warum diese Mechanik nicht kopiert wird. Anhand deines Charakterausbaus stellst du deinen Pool aus grünen, roten und blauen Würfeln zusammen. Blaue Würfeln sind Fernkampfangriffe, rote Würfel Nahkampf und grüne stehen für die Verteidigung. Jedes Monster besitzt auf einer Übersicht zudem Werte für Kampf, Schaden, Leben und Spezialfähigkeiten. Der Kampfwert ist der Wert, den du bei deiner Würfelprobe mit jedem Würfel erreichen musst. Nachdem du deine Würfel auf den Tisch geschmettert hast, zünden diverse Würfelmanipulationen und Effekte deines Charakters. Eine rote 8 gibt dir vielleicht zwei weitere Extra-Würfel? Oder du hast Wurfwiederholungen? Kannst Würfel drehen? Kennt man und macht auch hier Spaß.
Nun wird es aber noch interessanter. Du hast drei Felder, in denen du je nach Würfelart für erfolgreiche Treffer einen Token legst. Jetzt wird geschaut, was liegt im Schadensfeld, wo Tokens vom Fernkampf platziert wurden. Lebenspunkte des Monsters erreicht? Tot! Quest fertig. Nicht? Dann haut jetzt das Monster zu. Dabei vergleichst du den Schaden des Monsters mit deinen Tokens im Verteidigungsfeld. Dort liegen deine Nahkampf- und Verteidigungstreffer. Haut es dich nicht aus den Socken, dann schiebst du jetzt deine Nahkampftokens und die Tokens vom Blutungsschaden, die über Effekte ins Spiel kommen, ins Schadenfeld zu den Fernkampftreffern. Monster jetzt tot? Nein? Dann nächste Kampfrunde, wobei die Verteidigungstokens abgeräumt werden, alle anderen bleiben liegen. Es klingt hier vielleicht kompliziert, es stellt sich aber ein cooler Flow ein, der Fernkampf- und Nahkampf spannend abbildet, vor allem wenn die hier ausgelassenen Effekte der Monster hinzukommen.
Ich geh kurz Einkaufen
Jeder hantiert beim Kampf mit Würfeln und Token, dazu gesellen sich diverse Sondereffekte der Charaktere und fast jede Runde bekommst du neue Gegenstände. Du musst dich auch mit deinem Team absprechen! Questet wir zusammen und teilen uns die Erfahrungspunkte? Wo trifft man sich und tauscht Gegenstände? Wer kämpft wo zuerst? Verbesserst du deinen Krieger Richtung Schaden oder Verteidigung? Hinzu kommen je nach Runde noch Ereigniskarten, die abwickelt werden. Das dauert alles seine Zeit! Während also die eine Fraktion ihre Züge ausführt, vor lauter „Schau mal“ sich fast in die Hosen macht und die spannenden Kämpfe und heroischen Loot wie brasilianische Fußballfans ihren Weltmeistertitel feiern, schaust du zu. Und du schaust zu. Und du schaust zu. Vielleicht den Großeinkauf für nächste Woche erledigen? Die Downtime ist hart! Ja, ich schaue der feindlichen Fraktion eigentlich gerne zu, man kann die Zeit auch nutzen, um selbst im Team etwas zu planen. Eigentlich kannst du aber auch kurz deinen Wochenendeinkauf erledigen. Entsprechend pendelt sich die Spielzeit bei 5 bis 7 Stunden ein, je nach Teamgröße und Erfahrung.
Fetch-Quest
Wo bei den Monstern, Charakteren und deren Ausbau nicht gespart wurde, sind die Quest in Sachen Abwechslung so lecker wie englisches Frühstück. Geh irgendwo hin und töte es. Garniert mit einer kleinen Story, aber mehr ist es nicht. Gut, das Spiel ist aus 2005 und auch das PC-Spiel war vollgestopft mit Fetch-Quests, aber etwas mehr Zuneigung für das Questdesign wäre schön gewesen.
Einfach Liebe
Allerdings ist es eben umso bemerkenswerter, dass trotz der heftigen Spielzeit, Downtime und der eher langweiligen Quests, man trotzdem gerne eintaucht. Meine Kinder bettelten regelrecht nach weiteren Partien. Ich habe hier so viel Glitzer & Bombast im Regal, aber sie feiern ein Spiel aus 2005, so wie ich es damals gefeiert habe – wenn ich auch damals 10 Jahre älter war. Es ist einfach ein geiles Adventure und die geniale Charakterprogression ist so süchtig machend, wie TCG-Booster aufreißen. Kinder, die ihre Videospiele wie Socken wechseln, in einer Zeit aufwachsen, wo oft nur noch das Fazit von Rezensionen gelesen wird, sitzen hier 5 Stunden am Tisch und staunen. Und wer sich auf BGG anschaut, wie Fans dieses Spiel erweitert und pflegen, der weiß, es wird heiß und innig geliebt. Neue Spielfelder, Dungeons, Solo- und Koop-Regeln, neue Klassen oder Bosse zeugen davon, dass dieses 18 Jahre alte Spiel immer noch lebt.
Fazit
World of Warcraft: Das Brettspiel erlebt bei mir gerade seinen zweiten Frühling und das völlig zu Recht! Ja, die Downtime ist brutal und mit sechs Personen eine Einstiegspartie wagen führt dann zu so niedrigen Bewertungen wie bei BGG. Verständlich, dieses Spiel hat seine Ecken und Kanten. Wer aber seine Spielzeit fast in Jahren im PC-Spiel misst und daher eine kleine rosarote Brille aufhat, der wird mit analoger Liebe erschlagen. An alle Schurken da draußen, Bro-Fist des Herzens! Alle anderen staunen trotzdem über den spannenden Kampf und die Charakterprogression im absoluten Goldstandard. Es sind ganze 318 Karten im Spiel, die aus Talenten, Fähigkeiten und Ausrüstung die Heldinnen und Helden immer wieder neu definieren! Epische Schwerter, funkelnde Zauberstäbe und unzählige Fähigkeiten treffen auf Teamabsprachen beim Charakterausbau, weil eine ausbalancierte Gruppe einfach stärker ist. Der Teamaspekt mag für die Spielzeit der Horror sein, er ist aber auf der anderen Seite ein Grundpfeiler für die Adaption eines analogen MMORPGs. Der Karton von World of Warcraft: Das Brettspiel hat einige Umzüge erlebt, er ist verschrammt und ausgeblichen, aber in ihm drin steckt so viel wechselseitige Liebe, wie in wenigen Spielen meiner Sammlung.
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4 Kommentare. Hinterlasse eine Antwort
Ich habe letztens erst über dieses Spiel nachgedacht, weil ich es auch so Klasse finde. Was mir am Ende aber gefehlt hat, wäre eine Kampagne zu spielen. Man hat seinen Charakter toll ausbegildet und dann ist es einfach vorbei. Das fand ich immer sehr frustrierend. Wenn das Spiel ein kleines Update bekommen würde und dann noch um Kampagnen erweitert werden würde, hätte es doch nochmal gute Chancen, sich erneut im Markt durchzusetzen. Würde mich jedenfalls freuen.
ich habe das spiel auch noch ungespielt bei mir im Regal mit der deutschen erweiterung Schatten des Krieges und das englische Burning cursade mit daneben stehen ich muss es unbedingt mal auf den Tisch bringen. Wow war soviel meiner Jugend und die Analoge version wird ja immer in den himmel gelobt. Der bericht liest sich super <3
Unbedingt ausprobieren! 🙂 Und vielen Dank für die Blumen. Rezensionen zu älteren Spielen „verkaufen“ sich leider schlecht.
Aber gerade dafür liebe ich diesen Blog! 🙂