Lesezeit: 4 Minuten
Bora Bora von Stefan Feld ist vielleicht eines seiner besten Brettspieltitel. Die Rezension fängt gut an? Kurz Luft anhalten. Meine liebreizende Ehefrau sitzt am Tisch, badet in Symbiosen, erfreut sich über ihre erwürfelten Augen, streichelt innerlich ihre Ausbreitung auf dem Spielbrett und führt haushoch. Und ich? TABLE-FLIP. Ich will ALLES kurz und klein hauen. Ich hasse Bora Bora. Fünf Runden später, kurz vorm Spielende sind wir plötzlich gleichauf und wieder hat mich dieses Spiel überrascht. Und das zelebriert es immer wieder!

Kurzcheck: Darum geht es in Bora Bora

Bora Bora umweht die Spielenden mit einem Südseethema. Du übernimmst die Kontrolle über eine Gruppe von Einwohnern, um dich in der Inselwelt anzusiedeln, Fische zu fangen und Muscheln zu sammeln. Du schickst deine Priester zu Tempeln, um temporär die Gunst von Göttern zu erlangen und versuchst nicht nur Schmuck herzustellen, Ressourcen zu sammeln und weitere Einwohner:innen anzuwerben, sondern auch Aufträge zu erfüllen. Wenn ich das Thema streiche, bleibt ein ultraverzahntes Brettspiel, bei dem du aus sehr wenigen Aktionen viel erreichen musst.

Der spielerische Witz ist nämlich, dass du pro Runde nur drei Würfel hast, die du über sechs Runden auf fünf bis sieben Aktionsfelder einsetzt (variiert je nach Personenanzahl). Vom Feeling her musst du eigentlich jede Aktion zwingend machen! Mir platzt da zum Spieleinstieg jedes Mal der Kopf. Problembeschleuniger: Mitspielende setzen ebenso Würfel ein und die Augenzahl bestimmt a) wie stark die Aktion ist und b) blockiert gleiche oder höhere Augenzahlen eigener oder fremder später eingesetzter Würfel. Es gesellt sich also Interaktion dazu. Irre! Ich beiße hier regelmäßig in die Tischkante. Vor allem deshalb, weil es am Ende viele Siegpunkte für perfekt bespielte Bereiche gibt und die Umstände einen oft weit weg von Perfekt spielen lassen.

Ein relativ kompaktes Spiel.

Schatz, ich hol die Kettensäge

Spieler:innen haften für ihre Emotionen. Das sollte auf der Spielschachtel stehen. Steigen wir in meinen emotionalen Albtraum ein. Ich würfle und erfreue mich über eine 5, 2 und 1. Alleine das reicht schon für Bluthochdruck! Erklärung folgt. Die 5 brauche ich, um von der einen Insel auf die andere überzusetzen, denn dadurch kann ich eine Hütte platzieren, die mir die passende Ressource einbringt. Damit kann ich später Bauplätze freibekommen. Noch wichtiger für meine Strategie, die gesetzte Bauhütte schenkt mir auf meinem Tableau einen freien Platz, auf dem ich ein zukünftiges Einwohner:innenplättchen platzieren kann. Die ermöglichen besondere Aktionen. Einwohner:innenplättchen erhalte ich auch über eine Aktion. Ich schaue mir die Plättchen an und auf Position 4 der Einkaufsleiste liegt ein sexy Plättchen. Heißt, mit meiner gewürfelten 2 oder 1 bekomme ich das nicht. Ich müsste die 5 benutzen. Die brauche ich doch aber für die Ausbreitung! Knifflig und nur ein kleines Guckloch auf die typischen Problematiken.

An dieser Stelle wurde zudem meine Frau vergessen. Die ist zuerst dran und setzt ihre gewürfelte 4 auf die Ausbreitungsaktion. Jetzt darf ich dort meine 5 nicht mehr platzieren. Habe keine Hütte platziert, keinen Platz für Einwohner:innenplättchen und schaffe auch diese Runde den geplanten Auftrag nicht. Wichtige Bonus-Punkte bekomme ich für den Auftragsbereich am Spielende nur dann, wenn ich es schaffe, jede Runde einen Auftrag zu erfüllen. Perfekte Spielweise wird eben belohnt. Ich kotze und will dieses Spiel zersägen!

Es sieht so unscheinbar aus. Was für eine Lüge!

Schatz, spielen wir Bora Bora noch einmal?

Am Ende der Partie lösen sich anfängliche negative Emotionen immer wieder in Wohlgefallen und Begeisterung auf. Verlassen wir die Südsee und begeben wir uns für die folgende aussagekräftige Metapher in den Großstadtdschungel. Bora Bora ist eine Reise vom Start- zum Endpunkt und dabei die große Hauptverkehrsader direkt zu sehen. Kurzer und praktischer Weg. Nur ist diese Route von Stau, aggressiven Verkehrsteilnehmer:innen und vorher nicht lokalisierten Baustellen verstopft. Bora Bora ist also Umwege durch kleine unentdeckte Seitengassen fahren. Das Begeben in ein wildes Netz aus Einbahnstraßen, flankiert von Durchfahrtsverboten. Vielleicht verliert man kurzzeitig das Ziel aus den Augen, muss seine Route immer wieder anpassen, kommt am Ende aber überraschend gut ins Ziel. Und man ist sogar stolz darauf, diesen Weg gegangen zu sein.

Spielerisch geht man Umwege über erspielte Götter-Karten, die Regelrestriktionen wie beim Einsetzen eines Würfels aushebeln. Plötzlich darf ich meine 5 eben doch einsetzen! Durch die Zusammenstellung von Einwohner:innenplättchen kann ich mich plötzlich nach der Würfelphase gratis ausbreiten, erhalte Ressourcen oder kaufe weitere Plättchen. Ganze 72 Plättchen sorgen für taktische Spielereien. Der Weg für Bonuspunkte über erledigte Aufträge wird nichts mehr? Dann punkte über Anglerplätze, gebaute Häuser oder Bauplätze. Alle Spielbereiche perfekt bespielen ist maximal utopisch, zumindest für mich und entsprechend sucht man sich eben andere Wege und versucht gleichzeitig Mitspielenden ebenso zum Neudenken zu zwingen. Bora Bora ist interaktiv im Zusammenspiel mit anderen, aber auch zwischen den eigenen Synapsen. Anspruch trifft Spaß trifft Motivation.

Die Entwicklung des eigenen Tableaus ist zentral.

Fazit

Bora Bora ist für mich ein absoluter Klassiker, der niemals aus meinem Brettspielregal ausziehen wird. Was hier mit drei Würfel an Spielspaß, Interaktion und wirklich verzwickten Entscheidungen zelebriert wird, ist aus heutiger Sicht fast ein Ding der Unmöglichkeit. Denn wie uns viele Kickstarter und überproduzierte Brettspiele lehren, braucht es eigentlich eine LKW-Ladung an Erweiterungen, Miniaturen, Marker und Leisten. Ich wiederhole mich, aber biete diesen zartschmelzenden Bonbon gerne noch einmal an: Drei Würfel, sechs Runden und fünf bis sieben Aktionsfelder. Punkt. Daraus entsteht ein genial verzwirbeltes, auf den Punkt komprimiertes und interaktives Symbiose-Gewitter, welches durchaus einen erhöhten Anspruch gebärt. Damals für mich eines der schönsten Spiele der alea-Reihe, sieht es heute trotz seines Alters von 10 Jahren noch ganz ansehnlich aus. Und damit steht Bora Bora insgesamt neben Aquasphere und Marrakesh für die beste Unterhaltung von Stefan Feld.

Bora Bora
Spielinformationen
Genre: Würfeleinsetzspiel | Personen: 2 - 4 | Alter: ab 12 Jahren | Dauer: 60 - 120 Minuten | Autor:in: Stefan Feld
SPIELSPASS
9
AUSSTATTUNG
7
SPIELIDEE
9
Positive Aspekte
Sehr reduziert ...
... trotzdem taktische Vielfalt
Schöne Interaktion
Großartige Verzahnung
Durchaus anspruchsvoller
Negative Aspekte
Mit Spielerfahrung besitzt man einen enormen Vorteil
Optik etwas in die Jahre gekommen
9
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4 Kommentare. Hinterlasse eine Antwort

  • Denny Crane
    19. Juni 2023 11:28

    Liest sich mega intensiv
    Aber regulär zu kaufen gibt es das nicht mehr, oder?

    Antworten
    • Intensiv ist gar kein Ausdruck. Ich bin Euro-Optimierer und liebe verzahnte Mechanik. Ich sitze jedes Mal am Tisch und denke mir, ich hab heute nen guten Plan. Richtig BOCK das zu spielen. Jedes Mal bin ich Ende der ersten oder mitte der zweiten Runde richtig angepisst. Jedes Mal! Ich lerne nicht dazu. Am Ende liebe ich das Spiel wieder, weil neue Wege mich zum Ziel führen. Und denke mir, das spielst du bald wieder. Und dann geht es von vorne los ;:D

      Antworten
  • Denny Crane
    19. Juni 2023 11:33

    Ich glaube die Antwort habe ich mir durch die Ebay gebrauchtpreise gerade selbst beantwortet. 100€ ist mir ein gebrauchtes Spiel auch nicht wert

    Antworten
    • Da musst du Glück auf den Flohmarkt haben oder auf die Neuauflage (mit anderem Thema) warten. Eins der neuen Spiele der City Collection von Queen Games wird ein Bora Bora Remake.

      Antworten

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