Lesezeit: 6 Minuten
BoonlakeAls Pionier reiste ich nach Boonlake, einer verlassenen Region am gleichnamigen See. Meine Hoffnung? Teil einer wunderbaren Community werden, sich für das Gemeinwohl engagieren, als Pfadfinder die Landschaft erkunden, sie urbar zu machen und am Ende ein besseres Leben zu führen. Hört sich das nicht nach klassischem Eurogame an? Siedeln, Produktionsketten erschaffen und Synergien bilden. Wer andere Ausflüge wie Maracaibo oder Great Western Trail vom Autor Alexander Pfister kennt, der ahnt, hier könnte Großes schlummern. Schlagworte wie einzigartiger Aktionsmechanismus lassen beim Typus, der sich Expertenspiel in Meeple-Lettern über den Bauchnabel tätowiert, die Ohren schlackern. Allerdings hat Boonlake leider nicht nur im Spiel zwei Abzweigungen …

Kurzcheck: Darum geht es in Boonlake

Boonlake und Kurzcheck passt so gut zusammen wie Glühwein und Sommerferien. Ich will euch trotzdem was einschenken! Boonlake besitzt mehrere Ebenen, die alle miteinander verzahnt sind. Hauptaktion ist die Wahl eines von 7 Aktionsplättchen, die dein Vorankommen in allen Bereichen des Spiels abbilden. Begleitet von der Möglichkeit, der Aktionsart entsprechend eine Handkarte auszuspielen. So erkundest Du den Spielplan, errichtest Häuser und Siedlungen, züchtest Rinder, optimierst deine Handkarten oder dein Spielertableau und spielst Karten für Boni aus.

Erster Clou: Jedes Plättchen besitzt zusätzlich eine Aktion, die alle anderen am Tisch auch machen dürfen. Zweiter Clou: Je höher das gewählte Aktionsplättchen in der Reihenfolge liegt, desto weiter darfst du mit deinem Boot auf dem Spielplan fahren. Das sorgt für unterschiedliche Boni und löst Zwischenwertungen und letztendlich auch das Spielende aus. Weiter sorgt es in dreifacher Hinsicht für Entscheidungen: Was will ich für eine Aktion machen, was will ich den Mitspielerinnen anbieten und wie weit möchte ich fahren? Während also die Aktionen ein interessanter Mix aus verzahnten Kartenaktionen, Tableau und Spielplantentwicklung sind, ist die Bootsfahrt ein strategisches Wettrennen. Das kennt man ein aus Maracaibo. Wer am Ende die meisten Siegpunkte hat, der gewinnt das Spiel. Kommen wir nun zu den zwei Abzweigungen …

Boonlake
Es geht los …

Die erste Abzweigung

Ich bin schonungslos, die erste Partie war die mit Abstand schlechteste. Das hat einige Gründe, die zum Teil hätten vermieden werden können. Kommen wir direkt zu den größten Knackpunkten. Die thematische Einbindung vieler Aktionen ist suboptimal, bisweilen nicht nachvollziehbar und das Spielfeld, die Tableaus, ja eigentlich alles ist mit Boni und Symbolen überfrachtet. Letzteres lasse ich gerade noch so gelten, ist Boonlake eben ein Expertenspiel. Trotzdem gibt es in der Symbolsprache Inkonsistenzen. Zahlen in Schwarz sind Kosten, Zahlen in Weiß Einnahmen. Warum ist dann aber an manchen Stellen ein Minus davor? Warum sind auf dem Spielertableau alle Einnahmen abgedruckt, bei den Kühen allerdings nicht wirklich? Die Anleitung erklärt dies, das Tableau wurde auf natürliche Weise anders interpretiert. Spielfehler sind hier vorprogrammiert. Boonlake macht es einem mit seiner massiven, teilweise unklaren Symbolsprache nicht einfach.

Boonlake
Unzählige Symbole!

Und die thematische Einbindung hilft dabei nicht. Boonlake ist somit schwer zu erklären, unzählige Regelfeinheiten noch schwerer zu merken. Wer Spielspaß bei einem Eurogame aus einer thematischen Abstraktion zieht, wird nicht glücklich. Warum fahren wir mit einem Boot im Kreis herum? Und warum erhalten wir dadurch z. B. Handkarten oder Geld? Wieso gibt es einen Flusslauf gegen den natürlichen Strom? Warum hat man Vasen als besondere Ressourcen und wieso erhalte ich die in Häfen? Wieso brauche ich Vasen zum Bau von einer Bank oder der Schneiderei? Was sollen die Projekte, außer das sie Ressourcen in Boni umwandeln? Wieso bleiben dort die Worker stehen, wenn das Projekt abgeschlossen ist? Mechanisch ergibt das alles Sinn, thematisch leider nicht. Für mich ist Boonlake in dieser Hinsicht eine echte Enttäuschung.

Boonlake
Ich ziehe einen Hebel und erhalte 2 Münzen…?

Erstes Fazit

Die erste Partie dauerte viel zu lange und ich gewann mit irgendwas um 270 Punkte. Überall waren Punkte zu holen. Klassischer Punktesalat! Und bei Zwischenwertungen rümpfte ich auch die Nase, weil dort nur so wenige Punkte auf banale Art zu machen waren. Trotzdem brutal verzahnt und der Zugang war schwer. Das kann es doch nicht gewesen sein? Manch MitspielerIn wollte keinen weiteren Ausflug wagen.

Boonlake
Projekte, wie bestellt und nicht abgeholt.

Die zweite Abzweigung

Die nächste Partie habe ich anders erklärt. Ich habe das Wettrennen mit dem Boot angenommen, sehr forciert gespielt und gewann, wohlgemerkt mit über 100 Punkten weniger und viel geringerer Spielzeit. Da machte es Klick-Klack im Kopf. Der Meeple war gefallen! Boonlake sollte als Wettrennen begriffen werden, bei der sich die Abwägung aus starker Aktion und wenigen Schritten mit dem Boot und schwächerer Aktion, aber weitere Bootsfahrt nicht so einfach darstellt, wie vermutet.

Wer andere stetig unter Druck setzt und weiß, so viele Schritte sind es nicht mehr bis zur nächsten Zwischenwertung, der zwingt andere zum Umdenken. Es entsteht Spannung! Druck erzeugt dann auch eine zwingende Gewichtung innerhalb meines Spiels. Was für eine Engine baue ich mit meinen Karten auf? Welche Tableauverbesserung leiste ich mir? Alles geht nicht. Plötzlich muss ich arbeiten, um die Zwischenziele zu schaffen und die dort zu holenden Punkte werden im Gesamtkontext mächtiger, weil man insgesamt einfach viel weniger Punkte erzielt. Dazu gesellt sich dann die angesprochene hohe Verzahnung. Hier ein Bonus abgegriffen, dort eine Extra-Aktion und dann richtig kombiniert und plötzlich flutscht man aufgeregt elegant durch das Spiel. Boonlake war plötzlich Dauerbrenner auf unserem Tisch.

Boonlake
Tolle Aktionswahl!

Ein Hoch auf die Verzahnung

Aus einem Stop-and-Go der Synapsen wurde ein motivierender Verkehr. Du sitzt am Tisch, checkts deine Handkarten und die Aktionsreihenfolge. Du könntest die Karte  Wasserturm spielen, dadurch erhältst du dauerhaft über die Bootsfahrt mehr Geld. Dafür musst du allerdings die Rinderaktion oder die Erkundung wählen. Letzteres liegt ganz unten und würde dir bei der Wahl Minuspunkte einbringen. Bei der Rinderaktion könntest du eine Weide platzieren und ein Rind, alle anderen aber auch ein Rind. Durch die Weidenplatzierung könntest du als Platzierungsbonus drei Handkarten ziehen. Allerdings ist drumherum kein Haus und dadurch gibt es kein Geld-Bonus! Du bräuchtest auch einen Worker zur Platzierung des Rinds. Du hast zwar zwei im Vorrat, aber damit wolltest du eigentlich eine Siedlung bauen.

Siedlung bauen als Aktion liegt ganz oben, das wären 4 Schritte mit dem Boot. Das wäre eine rasante Fahrt über die Schleuse und damit Zeit für die Zwischenwertung. Für die wolltest du drei Präsenzen (Worker, Häuser, Siedlungen, Rinder) um Brücken herum besitzen. Das ist nicht erfüllt! Und was ist mit der Verbesserung der Loren, mit denen deine Einnahmen (Geld, Karten) in der Zwischenwertung steigen? Da wäre die Karte Handelshaus super, die kannst du aber nur ausspielen, wenn du die Aktion Gebietswertung oder Hebelbauen benutzt. Kommt ihr noch mit? Dabei habe ich die anderen Aktionen, Karten, Hebel oder Projekte gar nicht mit einbezogen …

Boonlake
Auswahl ohne Ende!

Fazit

Der letzte Absatz zeigt exemplarisch, wie viele Möglichkeiten einem Boonlake jede Runde schenkt. Durch die wirklich hohe Verzahnung und dem gleichzeitigen Wettrennen entsteht ein herrlicher Sog! Für Fans von komplexen Eurogames ist Boonlake auf der mechanischen Ebene ein imposanter Mix, bei dem die Aktionswahl wunderbar interaktiv gestaltet ist. Downtime kann zwar entstehen, weil es viele verschiedene Möglichkeiten abzuschätzen gilt, ist aber weniger schlimm, denn in jedem Zug deiner MitspielerInnen darfst du ebenfalls agieren.

Damit die Bootsfahrt gelingt, braucht es aber Vorlaufzeit! Die Verzahnung muss verstanden werden, was durch die überfrachtete Symbolsprache anfänglich nicht gänzlich gelingt und ein unterstützendes Thema sucht man vergeblich. Da sind wir beim entscheidenden Punkt! Boonlake braucht ein paar Partien, um richtig zu glänzen. Bei dem heutigen Überangebot an Brettspielen und dem Hang von Spielenden nach einer Erstpartie Spiele zu beurteilen, hat es sich das Spiel schwerer als nötig gemacht. Wer Ausdauer mitbringt, wird allerdings mit einem wirklich guten Brettspiel belohnt!

Boonlake
Spielinformationen
Genre: Strategiespiel | Personen: 1 - 4 | Alter: ab 14 Jahren | Dauer: 80 - 160 Minuten | Autor/in: Alexander Pfister | Vergünstigtes Exemplar erhalten
SPIELSPASS
8
AUSSTATTUNG
7.5
SPIELIDEE
7.5
Positive Aspekte
Hohe Verzahnung
Wettrennen durchaus spannend
Viele interessante Entscheidungen
Negative Aspekte
Thema kaum zu greifen
Symbole können erschlagen
Schwer zu lernen
Es braucht ein paar Partien
7.5
Redakteur | Admin | Gründer von Brett & Pad | Website | + Letzte Artikel

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