Kurzcheck: Darum geht es in Vienna Connection
Vienna Connection spielt im Kalten Krieg der 70er-Jahre und greift die politische wie gesellschaftliche Situation der Zeit auf. Wir sind da schon beim Highlight, denn was hier an historischen Zaunpfählen drin steckt, ist beachtlich. Die Verkettung klassischer Agentengeschichten mit echten Ereignissen, Institutionen und Gruppierungen ist extrem stark dargestellt, was vor allem KennerInnen der Zeit freuen dürfte. Dazu gesellt sich eine Gestaltung und Liebe fürs Detail, die beim Material Detective: Ein Krimi-Brettspiel schlägt. Wo wir schon dabei sind, Vienna Connection ist kein Detective 2. Es gehört zwar zur Detective-Series, weil es Datenbank, Karten und echte Recherche verbindet, aber es warten mechanisch Neuerungen auf euch und das Spielgefühl ist im Kern dann sogar gänzlich anders, auch wenn es erst einmal nicht so wirkt. Dazu jetzt mehr!
Erst einmal zu Hause?
Wer Detective gespielt hat, fühlt sich auf den ersten Blick zu Hause. Als Gruppe haben wir wieder Ressourcen, wir haben einen Kartenstapel, auf denen wir Spuren nachgehen und stöbern etwas im Internet sowie in der Datenbank. Schnell merkt man aber die Unterschiede. Der Kartenstapel ist wesentlich kleiner, weil es dafür einen dicken Batzen an fetten Akten gibt. Ich habe sie nicht gezählt, aber jeder Finanzbeamter erlebt hier Weihnachten und Ostern zusammen. Passt zum Setting und das gefällt! Was nicht gefällt, wir suchen uns keine Agenten aus. Wir haben pro Mission eine feste Anzahl an Unterstützer. Keine Namen mehr. Wir bleiben gesichtslos. Auch haben wir so keine Wahl, wie unsere Ressourcen durch die gewählten Personen aussehen.
Neu sind die Operationen! Das sind Sonderaktionen, die wir mit Ressourcen bezahlen müssen, um Hilfestellungen zu erhalten. Doch Obacht, die Ressourcen sind rar und alle Operationen durchführen kann man nie. Hier wird auch schnell deutlich, das wir uns im Agentenmilieu befinden. Wer will nicht Operation Angler oder Jojo starten? Ja, die Schreibe ist durchgehend passend. Dazu gesellen sich diesmal zum Thema passend kleine Code-Rätsel und das Lösen von Chiffren. Eher thematisches Bling Bling als echte Kopfnüsse. Trotzdem, das ist schon cool. Noch besser sind die gefundenen Audioaufzeichnungen im Agentensprech und O-Ton. Megageil, plötzlich hören wir den KGB ab! Statt Zeit im Nacken haben wir nun die Gegenspionage am Hals, leicht unterschiedliche Mechanik, im Kern sorgt es einfach dafür, dass man eben nicht alle Karten in einem Durchgang sehen wird.
Weitere Veränderungen
Die größten Veränderungen sind der Aufbau der Kampagne, die Lösung der Missionen und die Handhabung mit der Datenbank. Und da gerät Vienna Connection ins Straucheln. Wie formulierte es meine Frau so schön: „Es ist so ärgerlich, weil die sich so viel Mühe gegeben haben. Darüber möchte ich keine Rezension schreiben“! Dazu muss ich jetzt etwas ausholen. Anders als in Detective & Co, wo man Indizien finden und sich selbst ein Bild machen musste, damit man die Fragen am Ende beantworten konnte, sammelt man in Vienna Connection über Spuren-Karten Puzzleteile.
Man Jagd also nicht seinen Gedanken und Schlussfolgerungen hinterher, sondern roten, gelben, grünen und blauen Symbolen mit Zahlen, die man in der Datenbank verewigt. Absolut athematisch! Hey, in Detective sammelte ich DNA-Proben! Was ist hier los? Schlimmer noch, teilweise versteht man manch Zusammenhang vielleicht nicht und erhält über Puzzleteile am Ende doch die Lösung vorgesetzt. Man bräuchte die Karten teilweise nicht einmal lesen, sondern sich nur die Puzzleteile notieren. Macht man natürlich nicht, zeigt aber das Problem auf. Eines der Puzzle-Fragmente ist dann auch noch fehlerhaft und es zudem egal, welche Buchstaben man unterhalb des Rätsels einfügt. Anhand der gesammelten Puzzleteile erhält man im Abschlussbericht dann seine Geschichte. Keine Fragen, keine Deduktion oder Eigenleistung, zumindest zu großen Teilen.
Die Ausnahme bildet nach dem Abschlussbericht die Aufnahme von bestimmten Spuren. Hier hat man verschiedene Optionen, die nachfolgende Kapitel beeinflussen. Eigentlich cool, aber auch hier losgelöst vom eigenen Vorgehen im Kapitel. Wenn ich der Spur von Herrn Meier nie ganz gefolgt bin und gar nicht genau weiß, wer er ist, kann ich nach dem Abschlussbericht trotzdem ein Häkchen setzen, um ihn gefangen zu nehmen. Immersionsbruch hoch 1000. Ich erinnere mich innerhalb der vier Kapitel nur an zwei Situationen, wo ich mit meiner Frau in den Unterlagen-Clinch gehen musste, um etwas wirklich zu eruieren.
Warum ist das so?
Ich habe mich wirklich gefragt, warum dieser Weg eingeschlagen wurde. Er gefiel uns leider überhaupt nicht. Haben wir zu viel Detective erwartet und damit eben echte Ermittlungsarbeit? Ist Vienna Connection einfach nur eine thematisch hübsche Agentengeschichte mit leichten Entscheidungsnuancen für Liebhaber dieser vergangenen Zeit? Andere Idee: Die Fälle hängen insgesamt mehr zusammen, vielleicht sollte so ein stetiger Fortschritt gewährleistet werden und Informationen, die man selbst nicht verstand oder gar herausfand, mussten zwingend für Folgefälle aufgedeckt werden? Wollte man den Druck durch mögliches Scheitern, wie in Detective durchaus möglich, eliminieren? Ich weiß es so wenig, wie mein Agent ein Gesicht bekommen hat.
Fazit
„Die Hüte tief im Gesicht, alle Straßen endlos“, das sang Udo Lindenberg in Horizont. Endlos waren in Vienna Connection im Kalten Krieg ganz sicher nicht die Straßen, sondern die Verwunderung. Es passt so viel zusammen! Die gute Agenten-Atmosphäre, als CIA-Kirsche die Audiomitschnitte, die gekonnt geschriebenen Texte, die Massen an tollen Akten und kleine thematisch Rätsel sorgten durchaus für das richtige Feeling am Tisch. Doch wer wert auf Immersion und Ermittlungsarbeit legt und die Detective-Reihe kennt, reibt sich hier trotzdem verwundert die Agentenbrille. Unpassende Jagd auf bunte, athematische Puzzleteile, sehr wenig Deduktion und damit kaum motivierende Aha-Erlebnisse, bei einer insgesamt im Vergleich sehr schwache Datenbankeinbindung. Ich bin auch kein Fan des neuen Abschlussbericht, der keinerlei Fragen stellt, keine Wertung hinterlässt und eher einer manchmal von der eigenen Interpretation losgelösten Zusammenfassung gleicht. Vielleicht muss man noch mehr Fan des historischen Settings sein und sich einfach nur der Atmosphäre ergeben? Uns war es so spielerisch leider zu schwach aufgestellt.
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2 Kommentare. Hinterlasse eine Antwort
Sehr schade! Hatte mich eigentlich auf das Spiel gefreut, weil ich es vom Thema sehr interessant fand. Dass man anhand von ermittelten Indizien sich die Auflösung des Falls selbst zusammenreimt, ist für mich ein Kernelement bei Detective. Schade, dass sie das aufgegeben haben. Ich kann zwar grundsätzlich verstehen, dass man das Spiel zugänglicher machen will, aber das hier ist sicherlich der falsche Weg.
Schöne Rezension. Deckt sich (leider) mit unserer Erfahrung. Es wäre bei dem Thema so viel mehr drin gewesen.
Auch das debriefing das eher auf Entscheidungen denn auf Quizze hinausläuft ist eigentlich eine tolle Idee. Es geht ja auch „in echt“ bei Spionen weniger um genaue Fallanalyse als die richtigen Entscheidungen. Nur die Umsetzung sitzt hier so garnicht. Echt schade. Alles in allem ein mittelmäßiges Spielerlebnis. Nicht schlecht aber schlechter als unsere Erwartungen.