Kurzcheck: Darum geht es in Forgotten Waters
Du übernimmst, wie alle anderen am Tisch, die Rolle eines Piraten. Dabei startet Forgotten Waters fast wie ein Rollenspiel. Jeder erhält ein kleines Charakterheft, in dem nicht nur der Name verewigt, sondern auch die persönliche Handlung festgehalten wird. Es wird auf jeden Fall deine Lachmuskeln massieren. Dazu später mehr. Ihr heuert je nach ausgewähltem Szenario, die nicht wirklich zusammenhängend sind, auf einem Schiff als Piraten an und erlebt gemeinsam eine packende Geschichte. Ein dickes Spielbuch zeigt dabei Orte und Aktionsmöglichkeiten an, ein Spielbrett die zu erkundende Welt und wo ihr euch gerade befindet. Eine App erzählt die dazu passende Geschichte. Ihr werdet viel lesen müssen! Die deutsche Version bietet leider keine Sprachausgabe. Die Texte sind aber der Knaller, also liest man sie gerne. So questet ihr euch gemeinsam durch die Welt und hofft auf ein gutes Ende. Würfelproben basieren auf sehr einfachen Würfen plus Boni durch gefundene Gegenstände und den eigenen Attributen. Wie in einem Rollenspiel werden diese im Laufe des Abenteuers sogar verbessert.
Forgotten Waters ist aber kein reines kooperatives Spiel! Ihr seid Piraten und müsst zwar gemeinsam große Gefahren überstehen, bei deren Fehlschlag alle verlieren, aber insgeheim wollte ihr als Pirat stärker, reicher und cooler als alle anderen werden. Das persönliche Ziel ist die vollständige Entwicklung des eigenen Charakterhefts. Am Spielende liest dort nämlich jeder sein persönliches Schicksal vor, das sehr unterschiedlich ausgehen kann. Nur wer auch hier und da egoistisch handelt, wird seinen Traum erfüllen und nicht von Möwen zugekackt einsam am Strand sterben.
Falsche Erwartungen
Die Einleitung hat es schon verraten und spätestens das Cover sollte humorlose Piraten-Fans abschrecken. Forgotten Waters ist alles andere als bierernst! Es herrscht hier der Wahnsinn, die Magie herrscht und der Klabautermann steppt Polka. Forgotten Waters hält allerdings die Balance und wirft mit Blödsinn nicht wild um sich. Man findet auch ganz herkömmliche und typische Momente klassischer Piratengeschichten. Trotzdem, man muss derben Humor mögen, der manchmal auch ins infantile und brutale abrutscht.
Spielerisch gibt es auch ein paar Stolpersteine. Obwohl man seine Attribute verbessern kann und auch das Sammeln von Schätzen Spaß macht, du spielst Forgotten Waters niemals wegen der Mechanik. Das Spiel basiert auf Zufall und extrem einfachen Würfen. Wenn du dabei in der Schenke ein Auge verlierst, weil dich Spinat-Joey verdrescht, dann lache darüber. Du wirst niemals mehr tun, als deine Piratenfigur auf ein Aktionsfeld im Buch zu stellen und dann zu würfeln. Hier und da eine Entscheidung, das war’s. Spannung entsteht trotzdem und je nach Situation muss man sich als Crew schon absprechen, weil sonst größere Kämpfe verloren werden. Auch darf man nicht trödeln oder innerhalb der Crew zu egoman spielen, dann wird sie untergehen. Der Rumpf bricht, die Crew verhungert und auch die Geschichte triggert schlechte Ereignisse, die zum Spielende führen. Durchaus atmosphärisch, es bleibt aber eben mechanisch so simpel, das die Regeln ein 6-Jähriger begreift.
Herrlicher Spaß!
Wer aber für die abgefahrenen Geschichten kommt, der bleibt! Die richtige Gruppe ist aus meiner Sicht dabei elementar. Wenn nur einer mit der Ausrichtung des Spiels nichts anfangen kann, leidet der Spaß für alle. Auch sollte man mit eher vier bis fünf Personen starten, darunter wird es nur mit Sonderregeln was. Bin ich kein Freund von. Zwar kann man auch mit bis zu sieben Piraten starten, das stelle ich mir aber zu langatmig vor, denn schon bei vier Personen braucht man ordentlich Sitzfleisch.
Davon ab trifft mich dieses Spiel mit seinem Humor wie die Faust aufs Auge! Wohlgemerkt, ich bin nicht einmal Piraten-Fan. Ich habe stellenweise fast Tränen gelacht, wenn wieder völlig unerwartet Ereignisse aus dem Ruder liefen. Wer über den Schwarzen Ritter von Monty-Python lachen kann, der findet in Forgotten Waters sein wohliges Wohnzimmer. Alleine das Auswürfeln der Namen vor Spielbeginn ist ein kleiner Spaß. Ja, ich meine dich, schwulstiger Smith und Skorbut-Rachel! Wenn man dann während der Charakterschaffung zu einigen Fragen noch ein paar Begrifflichkeiten aufschreiben muss, die später in die Geschichte immer wieder eingesetzt werden, wird es bisweilen wild. So wurde meine Frau zur Schmiedin von Blutäxten, der eigene Nachname zum Verbrecher-Syndikat erhoben und welches Kind könnte bitte so ein Eiernasen-Gesicht besitzen, das es ausgesetzt wird? Einfach Antwort: du selbst! Wie wäre es mit dem Fund der wasserfesten Stiefel? Hässlich und zweckmäßig, genau wie du. Hey, wir sind halt angeranzte Piraten. Und freut euch mit Delphinen zu schwimmen. Es ist nicht das, was ihr jetzt denkt. Ich würde euch so gern ein paar Anekdoten mehr erzählen, das würde aber euren Spaß verderben.
Fazit
Das Forgotten Waters von äußerst dünnen Mechanik-Tampen gehalten wird, sollte man wissen. Es im Grunde nichts weiter als ein simples Würfel- und Familienspiel, vielleicht sogar unkomplizierter zu spielen als der Herr der Träume, welches vom gleichen Verlag entwickelt wurde. Es ist aber eben kein Familienspiel und aus gutem Grund erst ab 14 Jahren empfohlen. Forgotten Waters segelt nämlich in der steifen Brise der skurrilen bisweilen brutalen Momente, die den schwarzen Humor kitzeln. Infantil und derb geht es ebenso zu. Der Spielspaß wächst zudem durch Kenntnisse von popkulturellen Phänomenen wie SpongeBob, Popeye oder Monkey Island. Da jeder Spielerbogen eine andere Geschichte erzählt und es durch die freie Erkundung der Welt zu anderen Ereignissen kommt, kann man die Szenarien, trotz des gleichen Hauptplots, sogar ein zweites Mal spielen. Ist der eigene Humor richtig ausgerichtet, wird Forgotten Waters zu einer extrem lustigen Angelegenheit, bei der die Spielzeit von bis zu vier Stunden wie im Flug vergeht.
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