Chronicles of Crime von Corax Games ist der zweite Streich meines Krimi-Testmarathons. Den Anfang machte Watson & Holmes und anders als dieser Titel, hat sich Chronicles of Crime das Koop-Mäntelchen angezogen und einen App-Hut aufgesetzt. Das bringt ein paar richtige schöne Vorteile mit sich, lässt aber auch ein paar Schattenseiten zum Vorschein treten. Ich habe mich, vornehmlich mit meiner charmanten wie zweifelsohne ebenso scharfsinnigen Begleiterin, in die Morde in London und über seine Grenzen hinaus geworfen. Bin ich bereit in weitere Fälle Zeit und Geld zu investieren?
Kurzcheck: Darum geht es in Chronicles of Crime
In Chronicles of Crime versuchen die Spieler zusammen einen Mordfall aufzuklären. Festes Spielelement ist eine App! Damit untersucht man interaktiv Tatorte, besucht verschiedene Orte, befragt Personen und sammelt allerhand Beweismaterial. Dabei ist einem immer die Zeit im Nacken, denn jede Aktion im Spiel verbraucht diese wertvolle Ressource. Je nach Fall hat man nämlich nur eine festgesetzte Menge an Ermittlungstagen. Optional vorher, aber spätestens dann, wenn der Chef im Scotland Yard ruft, muss man einige finale Fragen zum Fall beantworten. Hier geht es nicht nur um den Mörder, sondern z.B. auch um die Mordwaffe, das Motiv und eventuelle Hintergründe zum Szenario.
Je scharfsinniger man Ermittelt und die Fragen am Ende genau beantworten kann, desto besser fällt die Bewertung aus. Wer scheitert, kann den Fall noch einmal angehen oder eine Auflösung anschauen. Manche Szenarien sind für sich abgeschlossen, andere bauen aufeinander auf. Ein vorbildliches Tutorial führt auch Brettspieleinsteiger sehr gut an das Spiel heran, unterschiedliche Schwierigkeitsgrade ermöglichen einen sanften Einstieg.
Das Spiel mit der App
Das Spielprinzip ist denkbar einfach. Es gibt drei Arten von Spielmaterial: Große Ortskarten, auf denen wiederum Personenkarten ihren Platz haben und Gegenstandskarten, die auf das zentrale Spielfeld platziert werden. Jedes dieser Spielelemente hat einen QR-Code, den man mit seinem Smartphone scannt und dann über die App eine passende Info erhält.
Du befindest dich im Scotland Yard und willst den Mordfall im Park untersuchen? Dann scanne den Park. Im Spiel vergehen bei einem Ortswechsel 20 Minuten. Ein kleiner Text zeigt auf, was dich im Park erwartet. Dort könnte zum Beispiel ein Parkwächter (Person 28) anzutreffen sein. Personen-Karte 28 rausgesucht und zum Park gelegt. Nun kann man auch diese Karte scannen und es beginnt ein Gespräch. Wieder Zeitverlust! Hier könnte ich nun etwas über weitere Orte oder Personen erfahren. Habe ich vorher einen Gegenstand gefunden, könnte ich während des Gesprächs auch diesen scannen und die Person würde mit mir ihre Erfahrung darüber austauschen. Denkbar einfach und leicht zu bedienen!
Trotzdem sollte man sich eifrig Notizen machen, gemeinsam ein Gesamtbild konstruieren und das weitere Vorgehen, in dem Fall das „Scannen“, gut planen. Denn jeder Scan kostet Zeit – warum das so elementar ist, erkläre ich gleich. Fälle in höheren Schwierigkeitsgraden erfordern schon ein wohlüberlegtes Vorgehen und ein geschicktes Kombinieren von Orten, Personen und Gegenständen. Wir verbrauchten schon ein paar DIN A5 Zettel mit Notizen, pro Fall wohlgemerkt! Chronicles of Crime ist kein No-Brainer!
Das macht richtig Spaß
Das Kombinieren ist anspruchsvoll und die Zeit sitzt einem hart im Nacken. Eigentlich verbeißt sie sich regelrecht! Durch die App wird das Spiel nämlich höchst druckvoll. Je nachdem wie viel Zeit vergangen ist, geschehen plötzlich Dinge, die oftmals nicht von Vorteil für uns Ermittler sind. Vielleicht verändert sich ein Tatort? Personen verschwinden? Der Chef stört uns in den Ermittlungen? Man weiß nie was passiert, aber man weiß, dass im Hintergrund die Uhr tickt. Das ist wirklich ziemlich cool gelöst! Weiter verhindert es ein übermäßiges abscannen und kombinieren von Karten – denn das würde theoretisch immer zum Ziel führen. So sind eigene Notizen und Schlussfolgerungen wichtiger und jede Entscheidung wird spürbar.
Zweites Spielelement welches wirklich gelungen ist und sich von der Konkurrenz abhebt, ist das interaktive absuchen der Tatorte. Hierfür hält man das Smartphone quer und startet die Tatortsuche. Jetzt startet ein Timer, der erbarmungslos runtertickt und in dessen Zeitspanne wir ein 360° Bild untersuchen (VR wird unterstützt und funktioniert auch). Alles was man sieht und einem wichtig erscheint, sollte man den anderen mitteilen. „Hey, hier liegen Bilder auf dem Boden, rechts der Vorhang hat einen Riss, ich sehe am Fußboden Blutspuren, einen umgekippten Stuhl und dahinten an der Wand, das könnte…ah Mist, Timer ist rum!“
Während der Begutachtung sammeln die anderen Spieler Karten heraus, die auf die gennannten Schlüsselwörter passen könnten. Der umgekippte Stuhl? Vielleicht die Karte Möbel? Danach scannt man alle Karten, ja auch das kostet Zeit und die App verrät einen, ob man wichtige Infos gefunden hat. Hektik am Tisch, das Gefühl wirklich einen Tatort zu untersuchen, ja, dass ist schon ein ziemlich netter Kniff von Chronicles of Crime!
Die logische Konsequenz
Diese positiven Seiten haben aber auch ihre Schattenseiten. Zum einen haben wir die Mechanik des Scannens und der App. In einer kleinen Gruppe mit zwei Spielern kann man noch zusammen auf das Smartphone schauen, ab drei Spielern funktioniert das weniger. Schnell tritt die Situation ein, dass derjenige der das Smartphone in der Hand hat, einfach immer weiter scannt. Die anderen Spieler verkommen zu Statisten bzw. sind nur noch für die Hirnarbeit am Tisch zuständig. Selbst in Runden wo ich vorher ausdrücklich vor diesem Problem gewarnt hatte und eine faire Aufteilung beim Scannen geplant war, beobachtete ich dieses Problem. Kurzum, Chronicles of Crime fördert das Alpha-Spieler-Problem extrem. Etwas aufbrechen kann man dies, wenn man das Bild auf dem Smartphone gleichzeitig an ein Laptop oder TV-Gerät überträgt, so dass dann alle Spieler eingebunden sind. Trotzdem ist es auch hier so, dass aktiv immer nur einer spielt.
Zweites Problem, das Spiel bleibt oft sehr abstrakt. Hinter seiner Fassade der Geschichte, besteht das Spiel aus Schlüsselbegriffen (QR-Codes), die richtig miteinander kombiniert werden müssen. Für meinen Geschmack ruht sich das Spiel hier zu sehr auf seinen Krimi-Rätsel-Charme aus und vergisst dabei etwas die Atmosphäre. Im Vergleich zu Detective oder Watson & Holmes fehlt es hier an Beschreibungstexten die Stimmung verursachen. Oft sind es nur ganz wenige Sätze. Ich betrete in Soho eine Bar durch den QR-Code und weiß schnell, dass mich ein Bar-Keeper sprechen will, aber wie ist es in der Bar? Sind dort Gäste und wie sind die drauf? Wie riecht es? Womit fahre ich eigentlich zur Bar? Regnet es? Keine Antwort! Hier verschenkt Chronicles of Crime massiv viel Potential, weil all die Dinge die dem Szenario abseits des Relevanten Seele einhauchen würden, kaum existieren.
Sackgasse
Ein weiteres Problem, das ich weniger von Krimi/Detektiv-Brettspielen kenne und eher den Exit-Spielen zuordne, ist die Sackgasse. Der Punkt an dem man nicht mehr weiterkommt. Kartengesteuerte Brettspiele geben hier etwas mehr Struktur und setzen auf eine Lösung durch die richtige Schlussfolgerungen der Texte, vor allem am Ende bei den finalen Fragen. Klar, auch hier kann ich scheitern, dann aber eher logischer Natur. In Chronicles of Crime kann es sein, dass man an einem Tatort etwas übersieht oder einen Gegenstand falsch deutet, vielleicht zwei Scan-Codes nicht in eine Verbindung zueinander bringt. Durch die abstrakte Form der Karten, kann das beim obigen Beispiel mit dem umgefallen Stuhl z. B. bedeuten, das bei der Karte Möbel keine Informationen ausgespuckt werden, sondern man stattdessen die Karte Holz hätte scannen müssen. Es gab Szenarien auf höheren Schwierigkeitsgraden, da standen wir stellenweise auf dem Scan-Schlauch.
Fazit
Das mag sich nun alles etwas negativ anhören, aber die Kritikpunkte sind nicht so klein. Da wäre zum Beispiel die Spieleranzahl. Ich würde absolut davon abraten Chronicles of Crime mit mehr als zwei Spielern anzugehen – außer man hat die Möglichkeit den Bildschirm des Smartphones an alle Mitspieler zu teilen. Da wäre die viel zu wenig genutzte Möglichkeit der Autoren, abseits der relevanten Informationen, Leben in die Welt zu bringen und auch die möglichen Sackgassen, gerade durch die abstrakte Form der Karten, können den Spielspaß ins Kittchen stecken.
Die positiven Seiten wiegen aber mindestens genau so viel! Das Spielmaterial ist schick und flexibel einsetzbar, die App bietet die Möglichkeit immer neue Szenarien für kleines Geld zu veröffentlichen, der Faktor Zeit, in Form von Druck zur schnellen Lösung bis hin zu Veränderungen im Fall, sind richtig gelungen! Das Beste, die negativen Dinge ließen sich durch Updates lösen. Zum einen über die Möglichkeit der Synchronisierung von Smartphones über die App, zum anderen ein paar mehr atmosphärische Texte zum drumherum einbauen. Ich bin gespannt wie sich Chronicles of Crime noch entwickelt, schon jetzt ist es, trotz seiner Kritikpunkte, ein frisches Krimi-Brettspiel für Solisten oder Pärchen!
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