Kurzcheck: Darum geht es in Hochverrat! Der Prozess gegen Louis Riel 1885
Wir schreiben das Jahr 1885. Es geht um nichts geringeres als um die Verurteilung von Louis Riel! Wer kennt Ihn nicht, den Rebellenanführer der Métis. Ich auf Seiten der Staatsanwaltschaft bin natürlich von der Schuld des Angeklagten überzeugt und nur das Hängen durch den Strick wird dem Volke die Genugtuung bringen, die es verdient. Das die Verteidigung auf Unzurechnungsfähigkeit plädiert, ist ein schlechter Witz!
In den fünf Phasen des Prozesses werde ich dies ganz sicher beweisen. Erst werde ich die Geschworenen kennenlernen, damit ich weiß, mit welchen Themen ich sie überzeugen kann (Beruf, Religion, Sprache), danach werde ich genau über diese Themen debattieren und Einfluss auf die Geschworenen ausüben. Dabei sammle ich in der Hinterhand fleißig Argumente für mein Schlussplädoyer. Wenn alles gut läuft, habe ich einflussreiche Geschworene auf meine Seite gezogen, die vor der Urteilsverkündung andere Geschworene auf meine Seite ziehen. Mein Schlachtplan für den Gerichtssaal steht und die Spannung steigt, ob die eigene Taktik gegen die Verteidigung bestand hat.
100 magische Punkte
Lassen wir kurz das thematische Gewand fallen. In Hochverrat! gewinnt die Anklage, wenn am Ende im Spiel mehr als 99 Punkte erreicht werden. Wird dies nicht geschafft, gewinnt die Verteidigung. Erzielt werden die Punkte über die Geschworenen, schließlich sind es diejenigen, die für die Verurteilung sorgen, oder eben auch nicht. Jedem Geschworene werden vor Spielbeginn zufällig drei Aspekte zugeteilt und verdeckt ausgelegt. Insgesamt gibt es drei Bereiche (Beruf, Religion, Sprache) mit zusammen sieben Aspekten. Ein Geschworener kann also ein englischsprachiger, katholischer Bauer oder z.B. ein französischsprachiger, protestantischer Beamter sein. Im Gerichtssaal kann ich den Aspekten zugeordnete Themen zur Sprache bringen, um die Wertigkeit des Aspektes zu verändern. Die Werte reichen von 1 bis 10 Punkte. Am Ende des Spiels werden die drei Aspekte eines Geschworenen addiert und damit die Punktzahl bestimmt.
Bequatschte Sie!
Die Geschworenen- und Aspekt-Mechanik ist so simpel am Ende dann natürlich nicht. Das fängt schon damit an, dass in der ersten Phase zwölf Geschworene ausliegen und man durch das Ausspielen von Karten die Aspekte der Geschworenen anschauen darf. Je nach Handkarten sind hier unterschiedliche Aktionen möglich, aber glaub mir, komplett wirst du die Geschworenen nicht durchschauen können. Das Ziel ist also die Geschworenen besser zu kennen als der Mitspieler. Am Ende der Phase werden nämlich von beiden Spielern Geschworene aus dem Spiel genommen, bis nur noch sechs übrig bleiben. Da entlässt man natürlich diejenigen, die schlechter beeinflussbar sind. Im historisch korrekten Bezug waren z.B. die französischen, katholischen Bauern, eher für den Freispruch. Entsprechend zielen Karten der Verteidigung mehr auf diese Aspekte ab. Ergo kann er sie besser beeinflussen und ich als Ankläger möchte solche Geschworene nicht im Gerichtssaal vorfinden. Wie gesagt, Hochverrat ist asymmetrisch angelegt.
Weiter darf man jeden Aspekt nur dreimal thematisieren (=verändern). Dann ist das Thema so ausgelutscht, das weder Richter noch Geschworene auf eine weitere Vertiefung Lust haben. Man kann mit seinen Karten auch Geschworene direkt beeinflussen, um sie am Ende ganz auf meine Seite zu ziehen. Je nach Stärke eines Geschworenen verbraucht dies unterschiedlich viele Aktionspunkte. Ist ein Geschworener erstmal auf meiner Seite, sorgt dies bei der Anklage am Ende für doppelte Punkte oder die Punkte werden halbiert (Verteidigung). Nebenbei muss die Anklage zudem Beweise für die Schuld sammeln, das bringt am Ende Boni für die Beeinflussung von Geschworenen, die Verteidigung argumentiert mit der Unzurechnungsfähigkeit, was wiederum Mali auf alle Aspekte gibt. Alles unter einen Hut zu bekommen, ist gar nicht so einfach. Da man nur wenige Aktionen hat, ist absolute Spannung bei der Wahl angesagt.
Entscheide Dich!
Weiterer taktischer Kniff, auch die Spielreihenfolge ist öfters asymmetrisch. Heißt, manchmal spielt man drei oder mehr Karten hintereinander. In den ersten drei Phasen erhält jeder Spieler sieben Karten. Die Karten sind so aufgebaut, das man immer mehrere Aktionsmöglichkeiten mit Ihnen besitzt. Gar nicht so einfach sich zu entscheiden, was dadurch verstärkt wird, weil man pro Phase zwei seiner Handkarten verdeckt für das Schlussplädoyer (letzte aktive Phase im Spiel) aufsparen muss. Hier muss man eine Strategie über alle Phasen hinweg aufbauen und betreibt eine Art Deckbuilding. Das Problem, wer mächtige Karten aufspart, kommt während der laufenden Partie vielleicht nicht in Tritt. Hier die richtige Balance zu finden ist ebenso wichtig, wie den Gegner im Blick zu haben. Welche Aspekte verändert er, was weiß er über die Geschworenen, was ich nicht weiß? In Hochverrat greift vieles kompakt ineinander und gerade als Anklage ist das Spiel alles andere als einfach. Dieser Anspruch, weil jede Entscheidung sofort spürbar ist, macht aber einfach verdammt viel Spaß!
Toller historischer Bezug
Ich gebe zu, ich kannte weder den Fall um Louis Riel noch interessiere ich mich besonders für historische Prozesse. Hochverrat hat mich aber schnell auf seine Seite gezogen. Die Spielregeln sind mit historischen Fakten belegt und machen das Spiel äußerst greifbar. Dazu kann man in kompakter Form den historischen Bezug in den Spielregeln nachlesen und jede Karte hat ihren geschichtlichen Kern! Man hat nicht irgendeine Anwaltskarte auf der Hand, sondern eben Charles Fitzpatrick, der mit einer kleinen Geschichte auf seiner Karte zum Leben erweckt wird. Wäre damals der Geschichtsunterricht in der Schule nur so spannend gewesen! Gerade weil Hochverrat! so charmant ist und ich als Rollenspieler gerne meine Karten in den Zeugenstand einlade, so bedauerlicher ist der Umstand, das die spielerisch omnipräsenten Geschworenen-Karten so leblos sind. Es sind nichts anderes als Platzhalterkarten für die Marker beider Mitspieler. Hier wäre mehr drin gewesen!
Bewusstes Gefälle?
Am Ende noch eine Warnung an die Gewinnsüchtigen in Form eines Zitats aus der Spielanleitung: „Du wirst Hochverrat! mehrmals spielen müssen, um alle Ebenen und Tricks für eine gute Anklage zu lernen.“ Nichts ist wahrer als der Kern dieser Aussage. Ohne gute Strategie und Kenntnisse der Spielmechaniken, hat es die Anklage schwer, nein, extrem schwer! Ich würde behaupten, es ist gerade am Anfang, wenn man Hochverrat! kennenlernt, fast unmöglich das Spiel auf Seiten der Anklage zu gewinnen.
Vor allem wirken die Anwaltskarten im Schlussplädoyer äußerst mächtig, weil Sie auf einen Streich mühselig aufgebautes Vertrauen der Geschworenen komplett abräumen und so gut und gerne einen mächtigen 30-Punkte-Geschworenen auf 10 Punkte degradiert. Autsch! Aber dagegen muss man lernen sich zu wappnen. Das Spiel begeistert einfach thematisch so sehr, das man sich in Hochverrat gerne reinwühlt und sich zumindest als Staatsanwalt langsam dem Spielsieg annähert.
Fazit
Hochverrat! begeistert auf vielerlei Ebenen. Trotz schlichtem Design und kaum vorhandenen Eyecatcher-Material erzeugt das kompakte Hochverrat eine überraschend dichte Atmosphäre und lässt mich thematisch tief eintauchen. Die Grundlage ist das packende Spielgefühl mit seinen fünf sehr unterschiedlichen Phasen, die für mich Laien einen Gerichtsprozess genial abbilden. Da wird nicht einfach eine Karte ausgespielt, sondern Philip Garnot in den Zeugenstand gerufen und auf Unzurechnungsfähigkeit plädiert. Das Kopfkino kann auch deshalb so gut anspringen, weil der historische Rahmen, in der Spielanleitung wie auch auf den Karten durch Infotexte, jederzeit eingeatmet wird. Die Geschworenen hätten etwas mehr Gesicht vertragen können, auffallen tut dies aber vor allem, weil der Rest des Spiel in dieser Kategorie so glänzt.
Auch spielerisch ist Hochverrat! in kurzer Zeit für mich zu einem der Top-Spiele für 2-Spieler geworden. Es wird geblufft, gepokert und versucht in den fünf Phasen die Kontrolle über die verschiedenen Spielbereiche zu erhalten. Flexibel auszuspielende Karten, leichtes Deckbuilding und ein äußerst dynamisches Aspekt-System sorgen für taktischen Spaß. Durch die weitreichenden Folgen mancher Aktionen und des spannenden Schlussplädoyers, ist Hochverrat! bis zum Ende ein wahrer Gerichtskrimi. Absolute Kaufempfehlung!
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