Ich hatte nach Charterstone und Seafall ein wenig den Glauben an Legacy Brettspiele verloren. Dann kam Pandemic Legacy Season 2! Fordernd, unglaublich spannend und in jeder Brettspiel-Zelle besser als sein Vorgänger – und der war schon beachtlich! Pandemic Legacy Season 2 lässt seine Legacy Konkurrenz wie Prototypen dastehen und zeigt eindrucksvoll, was ein Brettspiel im Jahre 2018 sein kann. Das größte Problem, ich werde nicht spoilern und ganz sicher nicht über das hinausgehen, was der Prolog bietet und damit die Elemente ausschließen, welche das Spiel inhaltlich so grandios machen. Trotzdem will ich versuchen zu erklären, weshalb Pandemic Legacy Season 2 so sicher auf dem Thron der Legacy Spiele sitzt.
Kurzcheck: Darum geht es in Pandemic Legacy Season 2
Du kennst Pandemic Legacy Season 1 nicht? Dann hole es nach. Pflichtveranstaltung! Erstens weil es ein (sehr) gutes Spiel ist und zweitens hängt Pandemic Legacy Season 2, welche Überraschung, direkt mit dem Vorgänger zusammen. Der Start des Spiels ist vorgegeben und basiert nicht auf den erspielten Ausgang der Season 1. Etwas Schade, aber das wäre wohl nur schwer umsetzbar. Um die 70 Jahre sind vergangen und die Überlebenden haben sich auf den Atlantik und das Mittelmeer zurückgezogen. Sie leben auf schwimmenden Inseln, den Zufluchten – Waterworld lässt grüßen?!
Der Horizont reicht an die Küste Europas, Nordafrika sowie Nordamerika und einen kleinen Teil Südamerikas, auch das Raster genannt. Darüber hinaus? Totenstille. Kein Kontakt. Als dann die Ältesten der Zufluchten von einer Erkundungsmission nicht zurückkommen, beginnt die Panik. Gibt es da draußen noch andere Überlebende? Wohin sind die Ältesten verschwunden und wie sollen wir für Nahrungsnachschub sorgen? Ohne Nahrung bricht die wenige Bevölkerung noch mehr ein und aufkommende Seuchen sorgen für Panik – das wäre dann wirklich das Ende der Menschheit.
Der spielerische Unterschied
Pandemic Legacy Season 2 sieht auf den ersten Blick mit seinen Würfeln, Infektions- und Städtekarten ganz ähnlich wie Season 1 aus, spielt sich aber anders. Es geht mehr um das Aufbauen von Städten, es belohnt das Entdecken und Suchen nach neuen Gebieten und Kontakten. Die Seuchenwürfel sind Versorgungswürfeln gewichen. Diese platzieren wir in den Städten. Wird eine Infektionskarte gezogen, wird von der Stadt ein Versorgungswürfel genommen. Liegen keine Würfel in der Stadt, wird ein Seuchenwürfel platziert und die Bevölkerungsanzahl sinkt am Spielende. Beim achten platzierten Seuchenwürfel heißt es übrigens schon Game Over. Und Obacht: Seuchenwürfel können diesmal nicht weggenommen werden.
Ja, der zweite Teil ist Survival durch und durch! Man ist also schweißtreibend dabei möglichst alle Städte mit Würfeln zu versorgen – Zewa am Tisch für die schwitzenden Hände wird empfohlen. Dumm nur, dass diesmal viele Städte doppelt und dreifach im Infektionsstapel enthalten und die Versorgungswürfel gleichzeitig begrenzt sind! Auch ist ihre Herstellung und Verteilung aktionsintensiver, als das einfache Wegnehmen von Seuchenwürfeln aus dem ersten Teil. Schon im Prolog merkt man, Pandemic Legacy Season 2 wirkt vertraut, ist aber ungemein schwieriger und härter zu spielen. Wer sich keine Notizen macht und aufmerksam spielt, wird wohl eher nicht die Welt retten. Keine Überraschung: Es bleibt im weiteren Spielverlauf nicht nur beim Verteilen von Nachschubwürfeln!
Der emotionale Unterschied
Schon der Start in Pandemic Legacy Season 2 wird emotionaler zelebriert. Diesmal erschaffen sich die Spieler ihren Charakter eigenständiger. Nicht nur der Name, nein, auch die Startfähigkeit, Heimatort und das Portrait werden gestaltet. Zudem wird vor jedem Spieldurchgang, oft mittendrin und manchmal auch danach, eine Geschichte erzählt. Durch Puzzleteile der Gegenwart, manche aus der Vergangenheit, ergibt sich nach und nach ein Gesamtbild. Hier muss man keine endlosen Partien spielen, damit mal wieder ein zarter Hauch Spannung durch die Luft schwebt – ja du bist gemeint Seafall of Charterstone.
Pandemic Legacy Season 2 weicht das eher starre Korsett der wiederholende Seuchenwürfelmechanik aus dem ersten Teil auf und ersetzt es durch mehr Aktionen, Zielen und Geschichten. Wer diesen Geschichten aufmerksam lauscht, kann daraus sogar Vorteile erzielen. Allerdings solltet ihr keine Romane erwarten, dafür sind die vielen kurzen Texte immer stimmungsvoll und oft spielerisch relevant. Masse ist eben nicht gleich Klasse. Vielleicht schaut sich das dicke Logbuch von Seafall mal Pandemic Legacy Season 2 an?
Zudem ist das Spiel viel geheimnisvoller! Und da hat Pandemic Legacy Season 2 dann ganz sicher von Seafall profitiert. Denn man erschafft auf vielfältige Art sein Spielbrett. Relativ schnell wird sehr oft gekritzelt, geklebt und freigerubbelt. Am Ende gleichen sich die Spielbretter wohl, doch dieser Umstand wird gut kaschiert. Ich entdecke hier die Welt und das fühlt sich nach Freiheit und Entscheidung an.
Die gefühlte Freiheit
Die ersten Partien sind nicht der Maßstab, aber bei uns drehte Pandemic Legacy Season 2 ab April regelrecht auf. Die Aufgaben sind flexibler gestaltet, wobei es wie schon im Vorgänger eine zwingende Aufgabe gibt. Nur war uns oft die Erfüllung anderer Aufgaben oder selbst gesteckte Ziele – sorry das ich hier so nebulös bleiben muss – wichtiger als der Spielsieg. Im Nachhinein ist das eine der ganz großen Stärken! Über kurz oder lang muss man natürlich die Aufgaben erfüllen, ganz ähnlich wie in Pandemic Legacy Season 1, aber wer abseits dessen die mögliche Freiheit auskostet, wird spielerisch belohnt und hat es im späteren Spielverlauf insbesondere beim knackigen Finale leichter.
Die letzten Monate… unvergesslich diese Spannung und ganz wichtig, ohne dabei Bruder Frust die Hand zu reichen! Ja, manchmal fluchte man, war aufgrund der Ziele gar fassungslos und es mag hier und da Glück im Spiel sein, wie z.B. Karten gezogen werden, aber durch die Aktionsvielfalt und den anderen Werkzeugen die einem Pandemic Legacy Season 2 an die Hand gibt, ist die richtige Taktik viel ausschlaggebender. Man ist mehr Herr der Lage und das motiviert ungemein.
Fazit
Schmeißt den Fernseher aus dem Fenster, kündigt Netflix, wir retten jetzt die Welt! Pandemic Legacy Season 2 hat mich restlos umgehauen und vor allem überrascht. Der Vorgänger war als Legacy Brettspiel schon enorm stark und Season 2 sah auf den ersten Blick durch die ähnliche Spielmechanik, wie eine solide Fortsetzung aus. Wenn vor maßloser Freude die Fäuste geballt werden, man mit schwitzigen Händen Karten aufdeckt und sich wilde emotionale Diskussionen über die nächsten Schritte, mit dem erwartungsvollen Öffnen von Kisten kreuzen, dann ist das nicht solide, sondern eines der besten Brettspielerlebnisse überhaupt! Enorme Spannung und stetige Überraschungen sind immer noch Teil des Konzepts, aber es ist diesmal spielerisch einfach noch interessanter.
Ich war mit meiner Frau ab der zweiten Jahreshälfte, insbesondere im letzten Quartal von Pandemic Legacy Season 2 mit Haut und Haar diesem Spiel verfallen, auch weil es nicht nur atmosphärisch glänzt. Nein, hier steckt Taktik, kooperatives Planen und vorausschauendes Spielen im Karton! Dabei schenkt einem das Spiel eine Freiheit, die rückblickend dem ersten Teil gefehlt hat. Wie soll das in einer hoffentlich dritten Season getoppt werden? In der Gegenwart ist Pandemic Legacy Season 2 ganz einfach eines der besten Brettspielerlebnisse überhaupt.
Fleischpöppel | Brettspieler | Videospieler | Rollenspieler | Miniaturenbemaler | Würfel-Lucker | Airbrush-Anfänger | Blogger | Schönspieler | Rum-Trinker | Brettspielsammler | Crowd-Funding-Süchtig | Trockner Grübler | Pöppel-Streichler | Magic-Verweigerer | 4X-Fanboy | Sickerflopp-Liebhaber
- 20. Dezember 2024
- 18. Dezember 2024
- 12. Dezember 2024
- 10. Dezember 2024
Im Fokus
Neueste Kommentare
- Christian bei Das Jahr 2024
- Denny Crane bei Das Jahr 2024
- Denny Crane bei Das neue Bewertungssystem
- Christian bei Das neue Bewertungssystem
- Denny Crane bei Das neue Bewertungssystem
9 Kommentare. Hinterlasse eine Antwort
Wir sind zwar gerade erst im März, finden es aber jetzt schon wieder genauso geil wie den ersten Teil. Deine Kommentare machen mir Hoffnung, dass es sogar NOCH besser wird, danke!
Ich wünsche euch ganz viel Spaß! Es ist einfach mega. Wobei die Freiheit einem manchmal auch richtig weh tun kann. Aber auch das mochten wir. Berichte gerne wie es bei euch lief. Finde das mega spannend was andere so angestellt haben.
Ich kann der Rezension nur voll und ganz zustimmen!
Leider wird unser Spiel durch die Pandemie immer wieder unterbrochen. Wir haben gerade den „August“ durch und fiebern immer wieder auf die nächste Partie zu. Wenn man eine gute Gruppe hat, mit einer Gruppe das gesamte Spiel bis zum Ende gemeinsam erlebt, ist das Spiel: „In der Gegenwart ganz einfach eines der besten Brettspielerlebnisse überhaupt.“
Ich bin jetzt auch schon ganz gespannt auf Season 0. … und ob es davon auch eine Rezension hier geben wird 😉
Das wird es absolut! 😉 Wird aber noch etwas dauern. Wenn alles wie geplant läuft, definitiv dieses Jahr noch. Viel Spaß in Season 2.
!!!SPOILER!!!
habe auf gehört zu lesen:(
du spoilerst ja doch!
was soll die info dass die open world nur gut kaschiert ist. darf ich das bitte selber herausfinden?
und oben noch ankündigen das genau das nicht passiert.
du schlaumeier…
Tut mir Leid, wenn es dir nun den Spaß genommen haben sollte. Ich kann dir nur sagen, dass wir trotzdem grandiosen Spaß hatten. Allerdings habe ich „wohl“ geschrieben. Es ist meine Vermutung. Verstehe daher das nicht so ganz. Und wieso Open World? Ich glaube, da ist jetzt deine Interpretation zu dem Satz etwas groß. Nur wenn ich jetzt mehr erkläre, dann muss ich wirklich spoilern.
Das tönt alles super. Ich habe Season 1 bestellt und bin voller Vorfreude. Wie hast du das zu zweit gespielt: Jeder nur 1 Charakter oder mit mehreren?
Ich habe zu zweit mit meiner Frau gespielt und jeder nur einen Charakter. Wir brauche die Identifikation mit einem Charakter und uns nervt Verwaltungsaufwand. Ist super mit nur zwei Charakteren zu spielen. Je nach Season ist es etwas schwerer oder leichter.
Danke dir für die Antwort und den tollen Bericht. Dann geht es los mit Januar!