Die Legenden von Andor: Was für eine Freude
Ich kenne keinen Spieler der auspöppeln nicht liebt (das lösen von Spielmaterial aus der Stanzform) und „Die Legenden von Andor“ sind in der Beziehung ein echter Traum. Massig zum Auspöppeln, bedeutet im Umkehrschluss viel Spielmaterial und das ist noch besser! Ein riesiges, wunderschön gestaltetet Spielbrett, unzählige Monster als Pappaufsteller, große edle Legendenkarten und Heldentableaus, stellen Nebel über Valskyrr dann doch in den Schatten, wenn auch das hier kitschigere Fantasy ist.
Spielanleitung: Weltklasse
Und dann dreht „Die Legenden von Andor“ richtig auf! Kein Rumstöbern in komplizierten Spielanleitungen, kein Nachschlagen im Internet, kein großes Erklären für andere Mitspieler, weil man in „Die Legenden von Andor“ das Spiel während der Einführungslegende Stück für Stück erlernt, ähnlich einem Tutorial wie man es aus Videospielen kennt. Unsere Spielgruppe hat ohne irgendwelche Vorkenntnisse das Spiel sehr schnell und intuitiv erlernt, weil die Einführung nie überfordert, Spielmechaniken langsam eingestreut werden und dies über Ereigniskarten und der Spielanleitung gleichzeitig wunderbar elegant dargebracht wird. Kein Spiel in meiner großes Sammlung habe ich interaktiver und durchdachter erlernt! So taugt „Die Legenden von Andor“ für Familien wie für Vielspieler gleichermaßen.
Die Legende
Das Spielziel der Gruppe ist immer das Meistern einer Legende, welche aus unterschiedlichen Quest besteht, die alle stimmungsvoll beschrieben sind. Hier werde ich jetzt keine Beispiele geben, weil die Aufgaben verdeckt pro Legende gezogen werden und so für Überraschungen sorgen, auf die sich die Spielergruppe dann spontan einstellen muss. Dabei tickt die Zeit unerbittlich, weil der Rundenmarker keinen halt macht und das sorgt für Druck und zwingt die Gruppe zu strategischem Vorgehen. Aus dem Bauch heraus, vielleicht sogar mal nicht an die Gruppe sondern an sich gedacht und schneller als einem lieb ist, heißt es Game Over.
Erschaffe die Welt
Bevor die maximal vier Helden zu Abenteuern aufbrechen dürfen, wird anhand einer allgemeinen Checklistenkarte und speziellen Informationen aus der gewählten Legende der Grundaufbau vorgenommen. Hier erfährt man zusätzlich die ersten Storyhappen, die in Aufgaben für die Spieler münden. Mit etwas Fantasie kann man wirklich tief in die Welt von Andor eintauchen. Das hier ist kein stumpfes abklappern von Missionen, hier wurde sich für die Präsentation einer stimmungsvollen Welt und einer greifbaren Darstellung eines Szenarios durch die Legendenkarten viel Mühe gegeben. Elementar ist noch das Auslegen der Nebelplättchen, die verdeckt über das Spielfeld verteilt werden. Mich hat dieses Spielelement etwas an den Nebel des Krieges aus PC Strategiespielen erinnert, weil es aufzeigt wo die Helden noch nicht waren und gleichzeitig für Überraschung sorgt, wenn man den „Nebel“ lichtet. Unter diesen Nebelplättchen kann ein Missionsziel sein, ein Bonus für den Spieler, aber auch recht fiese Ereignisse.
Zum Spielaufbau gehört auch die Heldenwahl aus Krieger, Zauberer, Bogenschütze und Zwerg. Das ist klassisch, vielleicht etwas kitschig, aber für diejenigen, die nicht genug von Fantasy bekommen, genau das Richtige. Jeder Held hat eine Sonderfähigkeit und einen im weiteren Spielverlauf ausbaufähigen Stärke- und Willenskraftwert. Der Stärkewert, ein Bonus auf den Kampfwurf, wird auf das erwürfelte Ergebnis addiert und sorgt dafür, dass die Glückskomponente im Kampf beeinflusst werden kann. Die Willenspunkte sind Lebenspunkte und gleichzeitig auch Anzeige für die Menge an Würfeln die man bei einer Auseinandersetzung würfeln darf. Gerade die Mechanik mit den Willenspunkten hat mir gefallen, simuliert er doch plausibel die Ausdauer im Kampf.
Gruppenknobeln
Das Spielfeld aufgebaut, die Helden ausgewählt und die Mission bekannt, Zeit in „Die Legenden von Andor“ loszulegen. Eine Spielrunde simuliert einen Tag, der aus sieben Aktionsfeldern auf dem Spielbrett dargestellt wird. Wer den Held weiter antreibt und ihn bis in die Nacht ackern lässt, was ihm als Strafe Willenskraft kostet, kommt maximal auf 10 Aktionen. Jedes Feld Bewegung kostet mich, genau wie einen Kampf ausführen, oder die Interaktion mit einem Händler, um nur einige Beispiele zu nennen, Aktionsfelder. Jeder Spieler kombiniert so lange und oft hintereinander rum, bis jeder gepasst hat oder der Tag vorbei ist. Der erste der gepasst hat, ist Startspieler der nächsten Runde.
Jetzt ist das Spiel dran! Erst wird eine Ereigniskarte gezogen, das muss in „Die Legenden von Andor“ zum Glück nichts schlechtes heißen, danach ist dann Showtime: Die Monster sind am Zug. Jedes Monster bewegt sich nach einer bestimmten Reihenfolge und anhand von Pfeilsymbolen auf dem Spielbrett. Das fiese ist, betritt ein Monster ein Feld auf dem schon ein anderes steht, überspringt es dieses und macht deshalb Boden gut. Durch Verkettungen von Zugfolgen, kann das bedeutet, dass die Monster viel weiter laufen als man vorher angenommen hat, kommen sie am Ende sogar öfters bis zur Burg des Königs, ist das Spiel vorzeitig vorbei. Hier ist wirklich Vorsicht geboten und als Spieler sollte man in seiner Runde tunlichst darauf achten das solche Ketten von Gegnern durchbrochen werden.
Als letzte Aktion eines Zugs wird der Erzählstein ein Feld weiter gesetzt, erreicht er das Ende seines Pfades, ist die Legende vorbei. Wurde bis dahin die Aufgabe nicht erfüllt, sind die Helden geschlagen. Erreicht der Erzählstein gewisse, je nach Legende unterschiedlich, markierte Felder, wird eine weitere Legendenkarte aufgedeckt, die für den Fortlauf der Geschichte sorgt und neue Aufgaben oder Gemeinheiten einstreut.
Atmosphäre vs Anspruch
Wie schon erläutert, die Mechanik des Erzählsteins, die dadurch fortlaufende Geschichte und die ganze authentische Präsentation des Spiels ist, ist grandios. Es ist sicher einer der stimmungsvollsten Kooperativen Brettspiele. Das versteckt aber auch so ein wenig den harten Kern des Spiels und auch die Nüchternheit wie man das Spiel gewinnt. Vor allem wenn man in einer Legende scheitert, und das wird man, weiß man beim nächsten Durchgang was einen erwartet, mit leichten Abweichungen durch Ereigniskarten und der zufälligen Auslage der Nebelplättchen, aber die Grundsäulen der Legende stehen fest. Und selbst ohne Scheitern, weiß man aufgrund der Quests in der Gegenwart was zu tun ist. Man weiß auch zu jeder Zeit, wie sich in der Phase des Spiels die Gegner bewegen oder wie viele Aktionspunkte die eigene Gruppe hat und dann geht das rechnen los. Wer macht was, damit Situation X eintritt oder verhindert wird. Das sorgt zwar für Kommunikation am Tisch, bricht das Spiel aber atmosphärisch auf einen sehr nüchternden Punkt herunter. Es kann die Situation eintreten wo die aktuelle Spielszenerie das Spiel spielt und nicht mehr der Spieler. Der Anspruch gerade bei späteren Legenden ist hoch, dann oder zumindest wenn man öfters scheitert, spielt man immer weniger aus dem Bauch heraus.
Der Anspruch des Spiels wird auch dadurch gesteigert, weil jedes besiegte Monster, und sei es noch so mickrig, den Erzählstein ein Feld wandern lässt. Wir erinnern uns, erreicht der Erzählstein ein Aktionsfeld, wird eine Legendenkarte umgedreht und mit Pech verschlechtert sich das Geschehen, grundsätzlich ist der Stein aber ein Feld dichter am Spielende. Wer also munter Gegner wegprügelt, der bekommt Probleme. Die Kunst ist also nur dann zu Kämpfen, wenn man es wirklich muss, ganz lassen kann man es auch nicht, weil sonst die Helden zu wenig verbessert werden können und mit Pech die Burg des Königs überrannt wird.
Inhalt ohne Ende
Enorm ist in „Die Legenden von Andor“ der Langzeitspielspaß! Die fünf im Spiel befindlichen Legenden fressen Zeit, dazu gibt es eine Erweiterung „Der Sternenschild“ mit weiteren Abenteuern, ein Erweiterungspack mit neuen Helden und der Möglichkeit mit bis zu sechs Spielern zu spielen, eine große Legenden Erweiterung „Reise in den Norden“ und unzählige Abenteuer online gratis zum ausdrucken. Daumen hoch Kosmos, das ist eine feine Aktion! Allgemein begeistert der Webauftritt zu „Die Legenden von Andor“, da können sich ganz viele Verlage mal locker drei Scheiben abschneiden.
Fazit
Die „Legenden von Andor“ bestechen mit einer wunderbaren Aufmachung! Ob nun das riesige stimmungsvolle Spielbrett, die liebevolle Präsentation der Geschichte, das greifbare Geschehen auf dem Tisch oder die beispielhafte Webpräsenz, Kosmos hat hier mit Michael Menzel beeindruckendes geschaffen. Dazu zählen für mich der einfache und praxisnahe Einstieg, so wie das Begleitheft, zur Spitze im Bereich der Brettspiele. Man darf aber nicht vergessen, dass „Die Legenden von Andor“ nicht einfach zu meistern sind und ein drauflos spielen zur Niederlage führt. Man muss als Gruppe taktieren, Spielaktionen der Helden und Monster durchplanen, was die Interaktion richtigerweise fördert, aber auch umschlagen kann, wenn Spielzüge fast zwanghaft von der Situation auf dem Brett vorgegeben werden. Da sind manch andere kooperativen Spiele freier gestrickt. Trotzdem, „Die Legenden von Andor“ trägt nicht umsonst das Siegel „Kennerspiel des Jahres“ und begeistert taktisch veranlagte Fantasy-Liebhaber auf jeden Fall!
Die Legenden von Andor
39,99 €Fleischpöppel | Brettspieler | Videospieler | Rollenspieler | Miniaturenbemaler | Würfel-Lucker | Airbrush-Anfänger | Blogger | Schönspieler | Rum-Trinker | Brettspielsammler | Crowd-Funding-Süchtig | Trockner Grübler | Pöppel-Streichler | Magic-Verweigerer | 4X-Fanboy | Sickerflopp-Liebhaber
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2 Kommentare. Hinterlasse eine Antwort
Im letzten Satz vor dem Kapitel Fazit wird von Werbeauftritt gesprochen.
Ich denk hier wollte der Webauftritt gelobt werden.
MFG
Vielen Dank für den Hinweis.