Kurzcheck: Darum geht es in Bier Pioniere
Das Thema sollte klar sein: Bier brauen. Zu den Möglichkeiten, sechs verschiedene Bierarten zu brauen und diese auszuliefern, gesellt sich ebenso der Ausbau von Produktionsanlagen und die Ausbildung der arbeitenden Bevölkerung … äh Worker. Das Ziel: von der kleinen Haus-Brauerei im Jahr 1850 hin zu einer Großbrauerei. Mein Wissen um Bier reduziert sich bisher auf grüne Segelyachten, die Rettung vom Regenwald, dieser idyllischen Seenplatte und unfassbar witzige Wortspiele. Da soll mal einer sagen, Hamburger haben keinen Humor! Bier Pioniere hingegen taugt durch seine thematische und historisch dichte Aufbereitung für mehr. Kennst du Anton Dreher, der Lager-Bier, das aufgrund der erforderlichen niedrigen Gärungstemperatur bisher nur im Winter verkauft wurde, durch Veränderungen im Produktionsprozess auch im Sommer verkaufen konnte? Der Almanach erklärt auf vielen ausführlichen Seiten so einiges. Power!
Mechanisch wissen wir ja schon, Bier Pioniere ist wie Viticulture. Nix da, glaub dem schreibfaulen Blogger nicht! Der Kern dreht sich zwar um Workerplacement und oberflächlich werden gleiche Prozesse in Gang gesetzt. Heißt: Mischung aus Karten erspielen und einsetzen, Ressourcenmanagement über Geld, Ausbau des Tableaus und die Herstellung und Verkauf, auch über zeitliches Reifen von Wein, ergo Bier, gleichen sich. Ebenso ist es ein Wettrennen. Wer 20 Siegpunkte erreicht, leitet das Spielende ein. Aber oberflächlich betrachtet ist Bier von den Zutaten irgendwie auch Brot. Gehen wir also in die Tiefe und packen uns den Spielspaß!
Süffiges Prickeln
Ich stürze meine Begeisterung schnell und unkompliziert wie Jugendliche Bier mit Trichter: Bier Pioniere generiert bei mir mehr Spielspaß als der Traubenvertreter. Das hat mehrere Gründe. Da wären unter anderem die Karten, die echte Multi-Use-Mechanismen besitzen und mich so in die verzwickte Gerstenmühle verfrachten. Ich werde zermahlen durch Entscheidungskitzeleien. Erste Option: Ich spiele sie aus, um mir dauerhafte Boni beim Brauen oder der Fassproduktion wie Lagerung zu sichern. Zweite Option: Ich spiele sie unter mein Tableau für eine dauerhafte Spezialbraumeister-Aktion. Verdammt, sind die manchmal mächtig! Dritte Option: Ich liefere das auf der Karte angegebene Bier in einer Auslieferungsaktion für Siegpunkte und Geld ab. Damit gewinne ich das Spiel. Ich will alles und kann doch nur eine Option wählen. Dass jederzeit sechs Karten in einem Markt offen ausliegen und in Verschränkung zur eigenen Braustufe zur Wahl stehen, katapultiert letztendlich die gesamte Karten-Mechanik in Sachen Anspruch, Spielreiz und Minderung des Glücks an Viticulture meilenweit vorbei.
Die guten Lehrjahre
Ein weiterer Faktor dafür, dass Bier den Wein schlägt und jetzt gerate ich wirklich ins Schwärmen, ist die Entwicklung der Worker und ihre Erfahrungsstufen. Für die hauptsächlichen Aktionsfelder hast du zwei Worker. Jeder Worker hat eine Erfahrungsstufe. Jede Aktion hat wiederum einen Aktionswert. Aktionswert plus Workerstufe gleich sechs oder höher? Dann darfst du einen kleinen Bonusarbeiter auf einem zweiten Spielbrett für eine Spezialaktion einsetzen. Extrem mächtig, weil du viel mehr Aktionen ausführen und auch ganz andere Aktionsketten abfeuern kannst. Gerade das ist Spielspaß pur! Die Überlegung, vielleicht eine vermeintlich suboptimale Aktion auszuführen, aber mit einer dann ausgelösten Bonusaktion, seine Aktionskette geschickt aufzuwerten, generiert Spannung.
Das Problem: Viele Aktionswerte sind so gering, dass du mit deinen anfänglichen Workern eben nicht auf die 6er-Schwelle kommst oder Aktionen mit hoher Wertigkeit schon besetzt sind. Ausbildung deiner Worker ist hier Programm. Kostet dich aber zum einen eine Aktion, zum anderen Geld. Und die anderen am Tisch gieren ja auch auf diese Option. Grundsätzlich entsteht hier durchaus eine gelungene Prise Interaktion. Im Einklang mit dem angesprochenen Wettrennen ist das Spiel durchaus taff.
Meh‘ Bier
Ein echter Partyhit meiner Jugend schrie nach Meh‘ Bier. Dieses Motto kann bei Bier Pioniere funktionieren, wobei auch hier ein Problem auftritt, welches in Viticulture ebenso vertreten war. Du kannst gewinnen, ohne vielleicht die schönste Bierproduktion zu besitzen oder in Massen Bier zu verkaufen. Hier leere Fässer verkauft, dort in der Zugreihenfolge den Siegpunktebonus, hier diese Spezialaktion, ein Produktionsupgrade oder dort eine Bonusaktion für Siegpunkte. Bäm, gewonnen! Wer andere ohne Erfahrung machen lässt und solitär seine Bierproduktion zum Sieg streicheln will – Schau, Schatz, wie toll mein Weizen reizt – geht in Schönheit unter wie ein besoffener Schwan. Und was piept denn die Sportuhr? Oje, es ist der Pulsalarm. Roter Bereich. Danke, Interaktion und Bier Pioniere.
Die richtige Bierproduktion ist aufwendig, spielerisch reizvoll und ich verliere mich gerne in ausgetüftelten Produktionsverbesserungen. Entwickle ich Produktionsanlagen für Pils, Export und Lager oder Stark- und Weizenbier? Riskiere ich beides? Welche Upgrades für meine Brauerei kaufe ich? Welche Karten zur Auslieferung will ich mir erspielen? Wie setze ich in welcher Reihenfolge meine Worker ein und wann bilde ich diese aus? Kann ich blockierte Aktionsfelder durch andere Aktionen und Bonusaktionen kompensieren? Und dann kommt Hans-Herbert-der Fass-Überall-Extra-Siegpunkte-König und schmettert einem Druck entgegen, ohne sich jemals liebevoll um seine eigene Bierproduktion zu kümmern. Da bekomme ich Krise! Schlimmer, es war nicht Hans-Herbert, sondern meine Frau. Negative Geschichte mit positivem Ausgang, denn …
Flexibel & Erfahrung
… wer passende Aufträge besitzt, kann gerade in den letzten Runden enorm aufholen. Da klatscht man seiner Frau, Hans-Herbert und seinen Brettspiel-Bagaluten einfach zwei fette Starkbieraufträge um die Ohren und ballert ihnen 11 Siegpunkte in zwei Aktionen um die Ohren. Ich lernte, gelegentlich zusätzliche Siegpunkte ebenso mitzunehmen. Es tariert sich aus. Mit etwas mehr Erfahrung in der Spielgruppe bietet Bier Pioniere so ein flexibleres Konstrukt mit breiterer Aufstellung als beim zugegeben optisch schöneren Wein-Ableger.
Fazit
Bier Pioniere lässt mich verwundert zurück. Ich trinke mittlerweile wenig Bier. Vor allem aber hat mich das Thema Bierbrauen nie gereizt. Noch schlimmer sah es bei Mitspielenden aus, allen voran meiner Frau, die eher Wein liebt und Viticulture verehrt. Und die zwar stimmige, aber an meinem Geschmack vorbeigehende Gestaltung des Brettspiels, war jetzt auch kein Zugpferd. Trotz dieser schlechten Vorbedingungen war der ausgeschüttete Spielreiz so schaumig herrlich wie bei einem frisch gezapften Pils. Die Aktionsmöglichkeiten sind nicht ausladend, aber thematisch passend und in einem Umfang vorhanden, dass Flexibilität genauso wie Interaktion gewährleistet ist. Besonders gefällt die Entwicklung der Worker inklusive der enorm mächtigen Bonusaktionen und die Mechaniken um die Multi-Use-Karten. Die Möglichkeit, auch ohne (viel) Bier zu brauen, um den Spielsieg mitspielen zu können, braucht allerdings eine gewisse innere Einstellung und Erfahrung im Umgang mit den Synergien. Egal, für jemanden, der eher mit Raumschiffen die Weiten des Weltalls erkundet, war da ganz schön viel Prickelndes in der Flasche … äh Brettspielschachtel.
Fleischpöppel | Brettspieler | Videospieler | Rollenspieler | Miniaturenbemaler | Würfel-Lucker | Airbrush-Anfänger | Blogger | Schönspieler | Rum-Trinker | Brettspielsammler | Crowd-Funding-Süchtig | Trockner Grübler | Pöppel-Streichler | Magic-Verweigerer | 4X-Fanboy | Sickerflopp-Liebhaber
- 14. Januar 2025
- 6. Januar 2025
- 2. Januar 2025
- 31. Dezember 2024
Im Fokus
Neueste Kommentare
- Eikpharius bei Star Trek: Ascendancy
- Christian bei Northgard – Uncharted Lands
- Christian bei Star Trek: Ascendancy
- Christian bei Master of Orion: Ad Astra
- Carsten Ullrich bei Master of Orion: Ad Astra
8 Kommentare. Hinterlasse eine Antwort
Danke für die Rezension, ich hatte das Spiel vor einer Weile auf dem Tisch und fand es auch durchaus unterhaltsam. Zumal ich solche Themen mag (Wein, Bier, Whisky etc). Aber, was du auch angesprochen hast: die Grafik ist dergestalt langweilig und bieder, dass nichts in mir danach strebte, dass Spiel öfter auf den Tisch zu bringen oder es gar zu besitzen. Bei der Vielzahl großartiger Spiele macht für mich die Optik inzwischen einen guten Teil der Entscheidung für oder wider einen Titel aus. So zum Beispiel auch bei Obsession: Eigentlich voll mein Thema, aber ich empfand Teile der Gestaltung als derart lieblos, dass es zeitnah wieder ausgezogen ist. Wie ist das bei euch beiden? Grafik nur Beiwerk oder entscheidender Faktor, ob ein Spiel im Regal bleibt?
P.S.: ich weiß, da gabs schon einmal einen Artikel („Ästhetik“), aber mich würde interessieren, ob ein Spiel, dass ihr mechanisch gelungen und unterhaltsam findet, wegen der Optik ggf dennoch bei euch ausziehen würde.
Hallo Tobias,
grundsätzlich beeinflusst Optik und Material natürlich. Je weniger ich ein Brettspiel kenne, desto mehr. Es gibt viele Brettspiele, die ich aufgrund der optischen Reize gespielt oder sie ignoriert habe. Falls ein Brettspiel aber meinen Tisch besucht und mich spielerisch abholt, dann kann die Optik in den Hintergrund treten. Ich habe also noch nie ein Spiel verkauft, nur weil es mir optisch nicht gefallen hat. Ich habe aber schon Brettspiele verkauft, die aufgrund der Optik andere vom Spielen abgeschreckt haben. Wenn niemand Lust auf ein Spiel hat, dann brauche ich es nicht. Ich bin aufgrund des Blogs von Haus aus neugieriger und schaue mir daher gerne Dinge an. Das bedeutet allerdings auch, dass es anderen in meinem Umkreis nicht so gehen muss. Das kann durchaus für Probleme sorgen. Aus meiner Wahrnehmung heraus haben es z.B. in meinen Spielgruppen historisch angehauchte Spiele sehr sehr schwer. Ich mag das eigentlich, aber wenn diese Spiele nicht gespielt werden, dann brauche ich sie auch nicht.
Liebe Grüße
Christian
Hallo Tobias,
wenn ich ehrlich bin: Nein. Ich liebe zwar tatsächlich eine optisch schöne Gestaltung, bin aber durchaus auch flexibel. Beispiel: Marrakesh. Ja, es ist im gleichen Queen Games Charme gehalten, der mich optisch nicht anspricht, aber durchaus funktional ist. Dafür ist das Spiel so gut, dass mich das ganze eher wenig stört. Ich würde es mir anders wünschen, aber es bleibt trotzdem.
Bier Pioniere finde ich zwar auch sehr altbacken, allerdings finde ich da die Optik irgendwie….zeitgemäß. Nicht zeitgemäß auf 2024 Standard, sondern eher zur Bier Pioniere Zeit oder der ersten Gestaltung von Bier Werbung. Ich bin zwar da kein Fachmann, so aber mein Gefühl.
Ich mag eine schöne Optik sehr, allerdings störe ich mich eher über fehlerhaftes oder nicht durchdachtes Kommunikationsdesign. Wenn zum Beispiel ein Spielbrett den Spieler nicht optimal führt (Beispiel: Darwins Journey) oder thematischer Schwachsinn ist (Beispiel: Boonlake). Da lobe ich mir dann immer gut durchdachte Spielbretter (Beispiel: Civolution).
Liebe Grüße
Markus
Hallo ihr beiden, danke für die interessanten Einblicke! Grundsätzlich bin ich natürlich bei euch, die Mechanik kommt immer zuerst. Aber die Grafik kann schon viel für das Kopfkino tun. Und natürlich ist es hier sehr unterschiedlich, was für einen taugt (z.B. die für Markus passende Optik bei den Pionieren). Und Marrakesh Zb taugt mir optisch wiederum, auch wenn ich im Umfeld Leute habe, die das optisch richtig grässlich finde. Für mich ist dieser Queen Games-Style aber in seiner altmodischen Farbenfrohheit gelungen.
Ein neues Phänomen, dass mir auffällt, ist auf der anderen Seite die KI-Grafik. Die ist oft, obwohl bunt und gefällig, irgendwie wenig überzeugend ist. Aktuell merke ich es bei den Vorschauen zu Foxpaw (selbst wenn da am Ende nochmal menschliche Künstler drüberschauen). Das wirkt (was es ja auch ist) dennoch alles extrem generisch. Auch wenn ich natürlich verstehe, wie teuer gute Illustratoren sind, ist das (ganz abgesehen von den ethischen Fragen) künstlerisch gesehen für mich keine gute Entwicklung.
Eine Frage am Rande, weil es Christian am Ende erwähnte: gibt es eigentlich Spiele, die ihr persönlich überragend findet, die aber sonst kaum jemand mit euch spielen will – und dennoch im Regal bleiben? (Sorry, geht vom eigentlichen Thema, der Rezension, ziemlich weg :))
Ja, die gibt es. Mein prominentester Fall: Wir sind das Volk. Oder Plutocracy. Oder Virtù. Und auch Heat hat es ganz schön schwer, obwohl ich es so liebe. Auch Hochverrat! und Mini Rails.
Ach, es ist wirklich schade, dass Hamburg so weit weg ist. Bei Wir sind das Volk und Virtù wäre ich sofort dabei. Letzteres wäre sogar mein nächster Titel gewesen, wenn es um unbekannte Spiele geht, die Leser vorstellen. Tat mir richtig für Strohmann leid, dass es dieses Jahr auf der Messe teils für zehn Euro verramscht wurde. Hochverrrat hatte ich auch, aber da gabs keine Mitspieler für…
„Pils ist beim Material mal gelb, dann wieder hellgrün“
grünes Pils würde ich wegschütten… und die Gärbottiche/-tanks mal auf Schimmel hin untersuchen 😉
Aber ich müsste mir auch dieses Spiel sowieso erst schöntrinken… 🙂