
Kurzcheck: Darum geht es in Sniper Elite: Das Brettspiel
Sniper Elite: Das Brettspiel zelebriert kein starres Katz-und-Maus-Szenario. Obwohl das „Duell“ aus einem schleichenden und mordsgefährlichen Attentäter und verteidigenden Kampftruppen dies suggerieren könnte. Schließlich ist es die Aufgabe des Attentäters, in eine Basis einzudringen und mit einer Mischung aus lautlosem Schleichen und punktuell tödlichen Angriffen, zwei vorher geheim gezogene Missionsziele zu erfüllen. Die drei Kampftruppen aus jeweils drei Soldaten hingegen versuchen ihr Bestes, diesen Elite-Typen aufzuhalten und die vielen möglichen Ziele zu schützen. Der Clou: Gut gespielt, wird aus dem Jäger immer wieder ein Gejagter. Und dann rauscht auf beiden Seiten das Adrenalin durch die Brettspielvenen.
Der zweite Clou: Dieses Spiel ist so verdammt einfach strukturiert. Wer Hidden-Movement öfter spielt, der kennt die Problematiken aus asymmetrischen Regeln und unpassenden Nachfragen in laufenden Partien. Solche Nachfragen zur Spielsituation können in Deduktionsspielen alles zerstören. Sniper Elite: Das Brettspiel ist so konzipiert, dass selbst unerfahrene Personen in der Erstpartie den Attentäter spielen können. Da die Spielzeit oft weit unter 60 Minuten einpendelt, ist das hier zudem kein schwergewichtiges Miniaturen-Spektakel, sondern ein fluffiges und kompaktes Spielvergnügen. Passt verzüglich zur Atmosphäre des Spiels! Kein langatmiges Geschacher, sondern schnelle, harte Action. Als Attentäter bewegst du dich auf deinem geheimen Plan, kannst schießen, was dich mit Pech aufdecken lässt, kannst Gegenstände nutzen oder Missionsziele erfüllen. Als Kampfgruppe hast du nur zwei Aktionen, die sich ebenso auf wenige Aktionen aufteilen: Bewegen, Angreifen, Spähaktionen in unterschiedlicher Ausprägung, und dazu gesellen sich ein paar wenige Spezialfähigkeiten. Herrlich auf den Punkt, ohne viel Schnickschnack. Wichtigster Impact: Der Attentäter darf Felder mit feindlichen Soldaten weder betreten noch durchqueren. Webe also mit deiner Positionierung der verteidigenden Soldaten ein Netz und fang den üben Hund!

Und das Schleichen?
Und da wären wir beim Schleichen. Seit 1998 Metal Gear Solid auf der PSone sich in meine Seele spielte, ist Schleichen für mich ein Goldstandard für spannungsgeladene Spielmechanik. Analog nur wesentlich schwerer umzusetzen. In Sniper Elite: Das Brettspiel ist das System simpel. Als Attentäter kann ich mich 0 bis 3 Felder weit auf meinem geheimen Spielplan bewegen, wobei ich eine Bewegungsaktion ansagen muss, nur eben nicht, wie weit. Bewege ich mich mehr als ein Feld, thematisch fange ich an zu rennen, dann hören mich alle Soldaten, an denen ich mich vorbeibewege, selbst durch Wände. Erinnerung: Felder, auf denen Soldaten stehen, kann ich nicht betreten.
Richtig Würze bringt nun das Spielfeld an sich! Die Felder sind nämlich alles andere als schachbrettartig. Es gibt kleine, quadratische Felder und richtig lange Rechtecke und dies kreuz und quer verteilt. Das ist natürlich nicht zufällig! Denn so gibt es „Wege“ auf denen Figuren richtig schnell von der einen zur anderen Seite huschen können oder es gibt kleine Engstellen, wo viele Schritte nötig sind. Beide Seiten müssen dieses Raster lesen, denn ohne Optimierung der Bewegung und des situativen Stellungsspiels verlierst du.

Beine in die Hand!
Was macht das jetzt mit dem Attentäter? Ich sitze vor dem geheimen Spielplan und spiele Google Maps. Mein Hirn, das Navi. Ich habe maximal 20 Runden Zeit, dann ist Game Over, wenn ich nicht vorher eh getötet werde. Wo bewege ich mich langsam, weil ich sonst gehört werde? Welcher Weg eignet sich für die zwei Missionsziele? Wo sprinte ich gefahrenlos? Wo lege ich eine Bewegungsfinte, damit die plumpen Soldaten ihr Positionsnetz falsch aufstellen? Dabei liegen die zwei Missionsziele nie dicht beieinander. Wer nur schleicht, schleicht in die Niederlage. Die größten Momente der Spannung entstehen, wenn die Kampfgruppen eine Ahnung haben, wo ich mich aufhalte. Das Hadern darum, die Beine in die Hand zu nehmen und Geräusche zu verursachen oder mit stählernen Nerven sich zwischen feindlichen Soldaten Feld für Feld, Schweißperle für Schweißperle vorwärtszukriechen, ist abnormal spannend. Vielleicht bluffe ich sogar und sage eine Bewegung an, aber bleibe stehen, weil ich mich null Felder bewege. Da pocht das Herz bis zum Adamsapfel!

Scharfschützenbeutel!
Es kommt vielleicht der Moment, da haben die Soldaten der drei Kampfgruppen eine Ahnung, was ich vorhabe. Ein Soldat platziert sich auf einem Missionsobjekt und ich kann das Feld nicht betreten und damit meine Mission nicht abschließen. Und ich erwähnte die Engstellen im Raster? Wo keine Lücke ist, muss eine geschaffen geschossen werden. Sniper Elite: Das Brettspiel bietet hier eine originelle Mechanik an.
Als Attentäter sage ich nur an, wie viele Chips ich aus dem Scharfschützenbeutel ziehen möchte, nicht, von wo auf was geschossen wird. Bedingung beim Ziehen der Chips: Mindestens so viele wie Felder zum Ziel. Ich kann aber auch mehr ansagen. Ich treffe das Ziel nämlich nur, wenn ich Treffer-Chips gleich der Anzahl an Feldern zu meinem Opfer ziehe. Treffe ich und es liegen z. B. drei Trefferchips auf dem Tisch und es kippt der rote Offizier um, dann wissen nun alle, ich stehe maximal drei Felder weit vom Offizier weg. Töte ich, gebe ich mich immer ein Stück weit preis. Wer blöd zieht, kann sich beim Schuss mit Pech sogar komplett enttarnen. Das ist dann der Super-GAU! Es sorgt aber dafür, dass du als Attentäter niemals unüberlegt dein Gewehr nutzt und bei der Ansage von Chips Wahrscheinlichkeiten einschätzen musst.

Kampfgruppe Kommunikation
Bei dieser Art der Spiele liebe ich es eigentlich, die Rolle des Einzelkämpfers hinter dem Sichtschirm einzunehmen. Bei Sniper Elite: Das Brettspiel ist dem nicht so. Ich ziehe enorm viel Reiz aus den Kampfgruppen. Du hast wie eigentlich immer gerade am Anfang keinerlei Ahnung, wo der Attentäter sein könnte. Dazu ist man langsam. Jede Kampfgruppe hat zwar drei Soldaten, aber nur zwei Aktionen für den kompletten Trupp. Beispiel: Eine Bewegungsaktion lässt einen Soldaten nur 2 Felder weit ziehen. Willst du nun z. B. noch Suchen, also Felder in deinem Umkreis nach dem Attentäter abfragen, bleiben die anderen an ihrer Position. Kampfgruppensteuerung ist Mangelwirtschaft! Das macht den Reiz aus.
Dafür sind wir insgesamt 9 Figuren und es gibt viele Engstellen für den Attentäter. Die gemeinsame geschickte Bewegung, das Besetzen von Schlüsselpositionen, vielleicht auch den Attentäter zum Schießen zu zwingen, ist einfach reizvoll zu planen! Dazu warten die drei Offiziere der Kampftruppen mit starken Sonderfähigkeiten auf, die zweimal pro Partie genutzt werden können. Richtig eingesetzt, üben sie gewaltigen Druck aus und verschieben das Momentum. Mächtig ist auch eine alternative Aktionsart. Hier verzichtet eine Kampfgruppe auf ihre beiden Aktionen und darf dann abfragen, ob der Attentäter im Sektor ihrer Farbe ist. Da diese Sektoren riesengroß sind, lässt sich relativ schnell eingrenzen, in welchem Bereich der Karte sich der Attentäter befindet. Dann geht das Palaver los, zumindest bei mehr als zwei Personen am Tisch. Wie ziehen wir nun Stück für Stück das Netz um diesen Sektor enger? Der Jäger wird zum Gejagten!

Fazit
Ich hole noch einmal kurz aus: Ich bin kein Fan des Videospiels oder des Kriegsszenarios. Das sind zwei nicht unerhebliche Blockaden, für einen Menschen, der oft über das Thema und die Immersion in ein Spiel findet. Trotzdem hat mich Sniper Elite: Das Brettspiel eiskalt erwischt, wie ein Kopfschuss aus dem Hinterhalt. Was hier auf den Tisch kommt, ist pure Spannung, destilliert auf das Wesentliche: Positionstänze, Risikoeinschätzung, nervenaufreibende Mangelwirtschaft. Kein Miniaturen-Bombast, kein Regelmonster, sondern ein taktischer Schlagabtausch voller Psychospielchen, Adrenalin und Tabletalk.
Das Geniale: Beide Seiten fühlen sich abwechselnd mächtig und machtlos, Jäger und Gejagter. Das Momentum wechselt reizvoll. Die reduzierten Mechaniken greifen stark ineinander, das Beutel-System beim Schießen ist ebenso clever wie die Bewegungstänze mit ihren Engstellen und akustischen Hinweisen. Der Nervenkitzel ist greifbar, die Spieldauer knackig! Und durch seine Reduziertheit ist Sniper Elite: Das Brettspiel für verdammt viele Spielgruppen geeignet, wenn das Kriegsszenario nicht stört. Hier platzt niemandem wie bei Mind: MGMT der Kopf vor Denkschleifen! Im Genre des Hidden-Movement hat sich Sniper Elite: Das Brettspiel ohne Anlauf direkt ins obere Regal geschossen geschlichen.

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