Lesezeit: 7 Minuten
SETI: Auf der Suche nach außerirdischen Leben ist ein epischer Kampf mit mir selbst. Nicht falsch verstehen, SETI ist weder solitär, noch sperrt es die Interaktion auf weit entfernte Planeten. Es kitzelt einfach nur wie kaum ein anderes Brettspiel meine inneren Aliens zum Vorschein. Das sind mal die Gutherzigen vom Planeten der vor Spielfreude-Faust-ballenden-Begeisterung. Es sind aber auch die jähzornigen, abstoßend, keifenden Aliens vom Kometen der Aggression. Wenn dann SETI in seinem mechanisch abgebildeten Drehschwindel seine Interaktion auspackt und dies mit seiner allgegenwärtigen Mangelkultur vermischt, dann balgen sich diese Aliens nur noch intensiver um die Vorherrschaft in meiner Spielerseele. Trete ich zurück, was mir hier vor der Tastatur leichter gelingt, betrachte ich diesen inneren Kampf mit Faszination. Willkommen bei der Rezension zur Suche nach mir selbst, Aliens und der Bedeutung von Spielspaß.

Kurzcheck: Darum geht es in SETI

In SETI: Auf der Suche nach außerirdischen Leben ist ein Eurogame für 1 bis 4 Personen, bei dem wir nach fremden Lebensformen suchen, indem wir die Weite des Alls scannen und Sonden auf entfernte Planeten und Monde schicken. Dabei sammeln wir Siegpunkte und verschiedene Informationen, die dazu führen, dass im Laufe des Spiels zwei zu Spielbeginn zufällig und verdeckt gezogene fremde Spezies entdeckt werden. Jede Spezies greift nach der Aufdeckung signifikant ins Spielgeschehen ein, weil sie durch ein eigenes Tableau für Siegpunkte und spezielle Sonderregeln das Spiel durcheinander wirbeln. Das ist ein genauso cooler Kniff wie das dreifach drehbare Planetensystem, welches für veränderte Bewegungspfade der ausgeschickten Sonden sorgt und auch das Scannen verändert. Da nur dann gedreht wird, wenn Personen gewisse Aktionen ausführen, sorgt dieses Element gleichermaßen für Interaktion und Spannung. Die Planetenkonstellation ist je nach Position und Spielsituation für die Spielenden nämlich unterschiedlich stark, entsprechend ist dieses Element nicht zu unterschätzen.

Kern des Spiels ist ein Mix aus Karten- und Ressourcenmangement, einer extremen Mangelwirtschaft, langfristiger Planung auf Siegbedingungen für das Spielende, Tableau- und damit Aktionsausbau und situativer Anpassung an Gegebenheiten wie Planetenkonstellationen, Mehrheiten bei gescannten Planeten oder den vorhandenen Handkarten. SETI bietet viel, sehr stark verzahnt und schlägt dir von der ersten Sekunde ein Motto mit Anlauf ins Gesicht: Pläne zerbröseln stetig wie trockene Kekse Asteroiden und du hast immer zu wenig von allem. SETI ist eigentlich nicht hyperkomplex, aber es ist die Arschkarte der Mangelwirtschaft Nummer 1 im Regal. Das muss gemocht werden. Meine Halsschlagader meldet sich gerade und möchte noch kurz betonen: SETI kann echt wütend machen. Gewonnen wird am Ende über schnöde Siegpunkte. Kramerleiste ablaufen. Kennt ihr. Überspringen wir das und scannen einmal kurz und heftig die Mechanik.

Lasst die Suche beginnen!

Start: Scan Nr. I – Alpha-Verzahnung

Keine Sorge, wir tanzen jetzt kurz durch die Verzahnungsebenen. Wer Spielabläufe im Detail braucht, biegt einmal in die Anleitung ab. SETI besteht aus verschiedenen Aktionen, die aber oft nur unter bestimmten Voraussetzungen ausgelöst werden können. Keine Sonde auf dem Mond? Dann kannst du nicht landen. Keinen Ruf auf der Leiste von mindestens 6, dann gibt es kein Upgrade für dein Tableau. Die vorhandenen Ressourcen engen zudem weiter ein. Entsprechend ist man in SETI eigentlich nie durch ein Aktionsüberangebot überfordert. Überforderung entsteht maximal dadurch, dass schnell verstanden ist, dass Aktionen teuer und verzahnt sind und damit jede gewählte ordentlich Gewicht besitzt. Besonderes Augenmerk nehmen dabei auch die Karten ein. Diese sind als Multi-Use-Karten angelegt. Du kannst sie für Aktionen durch Ausgeben von Credits ausspielen, die in gewissen Situationen besser sind als die Standardaktionen. Du kannst sie auch für einen Bonus abwerfen, für deine Ressourcengewinnung verbauen und sie bei Scan-Aktionen für weitere Scanerfolge abwerfen. Ganze 4 Optionen. Keine ist zu unterschätzen!

5 aus über 200 verschiedenen Karten

Es zeigt aber auch die ungeheure Verzahnung. Mehr noch, du bekommst automatisch nur 2 Karten pro Runde, wenn du dich nicht darum kümmerst, deine Ausschüttung von Karten auszubauen. Natürlich dann auf Kosten von weniger Energie oder Credits pro Runde. Die brauchst du eigentlich auch! Mangelwirtschaft eben. Durch Scans findest du Daten, die du wiederum zur Gewinnung von Boni und dem Finden von blauen Alien-Artefakten brauchst. Du musst auch Ruf durch Sonden über geschickte Bewegung auf Planeten sammeln, damit du dein Tableau ausbauen kannst. Letzteres ist elementar, weil sonst deine Aktionen schwach bleiben. Für die Bewegungen musst du allerdings wertvolle Karten abwerfen oder Energie ausgeben. Energie brauchst du aber auch für andere Aktionen, wie zum Scannen oder Landen von Sonden. SETI ist vor wenig zu sitzen, viel zu sehen und dann mehrmals und immer wieder vor leichter Verzweiflung zu schnaufen. Schnaufen scheint ohnehin der stetige Hintergrundsound dieses Spiels zu sein.

Ganz viele Daten gesammelt, aber erst eine Tableauverbesserung

Start: Sonde – Beta-Emotional

SETI-Zeit ist Bluthochdruck-Zeit. Ich bringe hier jedes Messgerät zum Platzen. Ich habe feinste Karten auf der Hand, die ich mir aber kaum leisten kann oder direkt Scheiß-Karten für meine Ideen, während andere elegant ihre Power-Aktionen abwickeln. Natürlich habe ich wie immer zu wenig Ressourcen. Für die Karten, aber auch für die Aktionen. Ich grabe mich in meine eigene Hirnrinde ein. Soll ich eine Sonde starten, damit ich über die Landung auf einem Planeten meinen Ressourcengewinn dauerhaft verbessern kann und fett Siegpunkte erhalte? Die Erde, von der ich scanne, liegt aber günstig für eine Scan-Aktion, weil mir eine Mehrheit im gescannten System winkt. Ihr kennt solche Planungsspiele, die sich komplexer geben als die letzten zwei Sätze.

Verliere ich hier den roten Sektor beim Scannen nach Daten?

Eigentlich tauche ich mit Freude ein. Habe dann ein Ziel, welches haarscharf genäht ist, wie immer, weil ausliegende Karten, Handkarten, Ressourcen, Sonderboni und Spielsituationen fragile und flüchtige Konstrukte in SETI sind, aber in ihrer Verschränkung gebraucht werden. Bevor ich nun aber dran bin, verändern die Kacknasen vor mir durch ihre Aktionen alles. Haarscharf genäht bedeutet, stetig verdeppert mir eine Person am Tisch meinen Plan. Hass ist ein zu schwaches Wort für manche Situationen. Ich werde bei Mehrheiten herausgekegelt, in die ich teuer investiert habe. Neue Planetenkonstellationen zerstören meine Bewegungen zu lukrativen Planeten. Ich erreiche zu spät Siegpunktegrenzen und andere schnappen mir so lukrative Plätze für die Endwertung weg. Ich komme einfach immer eine Aktion zu spät. Egal wo. Während es bei anderen läuft, muss ich passen und anderen 10 Minuten zuschauen, wie sie in ihren Symbiosen baden und die Runde noch genüsslich zu Ende spielen. Das ist nicht Downtime, das ist gar keine Time mehr! Ich liebe Optimierung, ich liebe Planungsspiele, aber SETI ist ein unkalkulierbares Anti-Planungs-Fest, das nichts anderes als 10 imaginäre Table-Flips pro Partie in mir auslöst. ┻━┻ ︵╰(°□°╰)

Der spannende Kampf um den Ruf!

Start: Auswertung – Gamma-Reiz

Was war das denn für ein Unsympath? Der hat den Reiz von SETI nun mal gar nicht begriffen. Stellen wir den imaginär umgeflippten Tisch mal wieder sachte auf. SETI ist nämlich ein Fest. Spielreiz entsteht dadurch, dass du nicht 10 Züge im Voraus planst. Der Witz ist sogar, selbst wenn ich geschickt über einige Spielzüge Aktionsfolgen plane, unterbreche ich sie oft selbst und schwenke um. SETI ist teilweise fragil in der Planung, aber eben auch opportunistisch. Viele Runden schenken einem immer wieder neue Situationen, die mit spielfreudiger und flexibler Einstellung, trotz und gerade wegen des heftigen Mangels, enorm viele spannende Entscheidungszwickmühlen schenken. Ganze 200 verschiedene Karten unterstützen das. Ich habe selten Plan A, Plan B und Plan C in der Tasche, sondern mache gerade das Beste aus sich stetig veränderten Spielsituationen. Ich sitze hier mit klopfendem Herz am Tisch, bete, dass Pläne aufgehen und balle die Faust unter dem Tisch, wenn sich Chancen plötzlich öffnen und voller Genuss spontan genutzt werden.

Wer landet wo?

Der Spagat, trotz dieser enorm taktischen Ausrichtung, langfristige Erfolge erreichen zu müssen, weil eine Ressourcen-Engine aufgebaut werden will, weil das eigene Tableau individuell und passend ausgebaut werden muss und am Spielende über Endbedingungen eben noch massig Punkte zu erreichen sind, ist phänomenal motivierend. Ja, beim spielerischen Spagat aus flüchtigen Chancen und langfristigen Zielen können die SETI-Adduktoren heftigst reißen. Das schmerzt und dann kommt das böse brüllaffenartige Alien zum Vorschein. Aber im Grunde sorgt es für enorm viel Abwechslung und einen wirklich hohen Spielreiz, wenn auch die Downtime dazugehört und die Spielzeit bei einer Stunde pro Person heftig ist. Wohlgemerkt, dann aber eingebettet in feinstes Material!

Grandios viel los!

Fazit

Ich untertreibe nicht, aber SETI ist ein Sickererfolg. Schick und einladend fand ich dieses Brettspiel schon immer. Auch die Idee von geheim ins Spiel startenden Spielmechaniken über die zu entdeckenden Aliens war eine Triebfeder von Neugierde. Beides ist sogar noch besser als gedacht! Meine Bewertung nach der Erstpartie war aber eine andere als aktuell. Was war ich angepisst! Dabei war ich nicht einmal ein schlechter Verlierer, weil ich nicht letzter wurde. Mir war der Mangel zu heftig, ständig fühlte ich mich vom Spiel gedrängt, von Mitspielenden heftigst drangsaliert, erlebte Downtime ohne Ende, haderte mit Zufälligkeiten und rieb mich innerlich auf. Vieles gewollt, wenig geschafft und was geschafft wurde, fühlte sich nach zu wenig an oder war eigentlich gar nicht geplant. Waren die Spielebenen wirklich ausgeglichen? Wurde ich hier nicht vom Spiel gespielt? Wo ist mein Plan?

Dabei erreicht die Interaktion im Schnitt nicht einmal diese „fiese“ aktive Ebene eines Wasserkrafts. Es sind eher die vielen fragilen Fallstricke aus dynamischen Situationen, wie zufällige Auslage von Karten, der Planetenkonstellationen oder schwierig zu beherrschendes Area-Control um Scan-Sektoren, wo die Interaktion trotzdem viel bewirkt. Mittlerweile habe ich weit mehr als ein halbes Dutzend Partien hinter mir und mein inneres Alien der Abneigung ist ausgesperrt. Stetig wuchs die Begeisterung! SETI gelingt ein vortrefflicher Spagat, der enormen Spielreiz auslöst. Druck durch langfristige Ziele, wie der Aufbau einer passenden Ressourcenengine, der Tableauentwicklung oder den vielen Siegpunktebedingungen, treffen auf ein gefühlt unendliches spielerisches All aus situativen, fragilen und flüchtigen Chancen, die richtig ergriffen und passgenau abgestimmt, enorme spielerische Befriedigung ausschütten. Nie wird in SETI alles gelingen, das Hadern und Schnaufen bleibt die Hintergrundmusik. Aber genau dieses Hadern ist eben auch Teil des Spielreizes, der zudem den Wunsch nach der nächsten Partie inkludiert.

Info: Spielmaterial (Boxen, Ressourcen) sind tlw. nicht Teil des Originalspiels

SETI: Auf der Suche nach außerirdischen Leben
Spielinformationen
Genre: Strategie-Spiel | Personen: 2 - 4 | Alter: 14+ | Dauer: 40 - 160 Minuten | Autor: Tomáš Holek | Illustration: Ondřej Hrdina, Oto Kandera, Jiří Kůs, Jakub Lang et. al. | vergünstigtes Rezensionsexemplar erhalten
SPIELSPASS
9
MATERIAL
9
SPIELIDEE
8.5
Positive Aspekte
Tolle Tischpräsenz
Bewegliches Spielbrett mehr als nur ein Gadget
Enormer Spielreiz aus zwingender langfristiger Planung, bei Nutzung von sich stetig ändernden Situationen
Multi-Use-Karten erzeugen diverse spannende Zwickmühlen
Gelungende Verzahnung diverser Spielebenen
Extremer Mangel versorgt Entscheidungen mit Gewicht
Negative Aspekte
Ohne Insert dauert der Aufbau
Downtime ist Teil des Spiels
Unterschiedliche Aktionsanzahl pro Runde unter den Spielenden
Extremes Mangelspiel kann frustrieren
Kann durch viele fragile Momente frustrierend
9
Redakteur | Admin | Gründer von Brett & Pad | Website |  + Letzte Artikel

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