Lesezeit: 5 Minuten
MordsStoryMordsStory hat einen tollen Aufhänger, bei dem Impro-Fans, kreative Köpfe und Menschen, die Krimis auf der Seele tätowiert haben, begeistert werden. Schließlich sind wir in MordsStory nichts anderes als ein schöpferisches Team, welches in Form von verschiedenen Rollen und anhand von Beweis- und Fragekarten einen immer wieder neuen, andersgearteten Krimi erschaffen. Tathergang, Zeugen, Beziehungen, Beteiligte oder Mordwaffen sind nie vorgegeben. Die Grenze ist euer Kreativlimit.  Direkt möchte ich als Verehrer von 00 Schneider, dem wohl bizarrsten Kommissar aller Zeiten, Autor Jens-Florian Groß danken, dass ich die Rolle des Kommissars Dario einnehmen darf. Deren Vorgabe ist die absurde Ausschmückung der Erzählung. Absurd, liebe Leute, kann ich! Nun ist MordsStory allerdings mehr als nur Krimis zu erschaffen. Zücken wir also die Lupe und nähern uns dem Mord … äh Brettspiel genauer!

Kurzcheck: Darum geht es in MordsStory

Die Einleitung zeigt schon die grobe Prämisse des Spiels. Jede Person übernimmt einen Kommissar oder Kommissarin, inklusive einer spielerischen Sonderregel und einer Vorgabe des Erzählstils wie blutig, absurd, präzise oder blumig. Dazu erhalten alle zum Start vier Beweiskarten. Das kann unter anderem ein Fingerabdruck, Handy, Verdächtiger oder Gutachten sein. In der Tischmitte liegen für alle zugänglich sechs Fragekarten aus, die danach fragen, wo z. B. die Beute versteckt ist, wie ein Täter entkommen ist oder was das Tatmotiv ist. Weiter zeigen die Fragekarten Siegpunkte, Sonderaktionen und benötigte Beweise an. Die Frage nach der Identität des Opfers gibt z. B. einen Siegpunkt und braucht die Beweiskarte Opfer oder zwei Beweise aus Zeuge, Tatmotiv und Fingerabdruck. Bist du dran, legst du passende Beweiskarten ab, nimmst dir die entsprechende Fragekarte und erzählst allen die Antwort auf die Frage, wobei du deine ausgegebenen Beweiskarten in die Story einwebst.

So würde die Antwort von 00 Christian Schneider aka Dario nach der Identität des Opfers lauten können, dass das Opfer niemand Geringeres als Rosinen-Rolf-Reimann ist, der Mann, der Rosinen mit den Füßen für seine Marktkunden in minzgrüne Beutelchen sortiert. Tot aufgefunden vom Karamellbonbon-Boba (Zeuge), der gerade noch sah, wie der Täter zwei Mega-Rosinen klaute, aber eine fallen ließ, auf der sich ein Fingerabdruck des Täters befinden müsste. Klar, oder? Was hättest du als Tom erzählt, der es blutig mag? Ich schnappe mir nun die beantwortete Fragekarte, ziehe neue Beweise, eine neue Frage wird aufgedeckt und du wärst dran! Kannst du mit deinen Beweiskarten keine Frage beantworten, musst du Karten tauschen. Fühlt sich dann wie aussetzen an, allerdings darfst du dabei nicht nur vom Nachziehstapel oder Ablagestapel Beweiskarten tauschen, sondern sogar von Mitspielenden. Ein solides Konzept. Nur, was hat es jetzt mit den Siegpunkten auf sich?

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Zunge gelockert?

Das Spielende

Cool für die Abwechslung: pro Partie liegen nie alle Fragekarten aus. Sind je nach Personenanzahl eine bestimmte Menge an Fragen beantwortet, ist die Partie zudem vorbei. Jetzt werden aber nicht einfach die Punkte auf den Fragekarten addiert und jemand zum Goldstandard der Krimigeschichten gekürt, sondern es folgen zwei Erinnerungsrunden. Jede Person darf so zweimal eine andere Person benennen und erläutern, welche Frage und damit Inhalt am Mordfall beigesteuert wurde. Wer sich erinnert, erhält zwei Siegpunkte, wer die Frage beantwortet hat, erhält immerhin einen. So lohnt es sich, Teile der gemeinsamen Geschichten zu erzählen, die in Erinnerung bleiben. Wer nun insgesamt die meisten Punkte hat, darf sich auf die Schulter klopfen. MordsStory ist also nicht kooperativ, sondern semi-kooperativ.

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Dario, ich will ein Kind von dir!

Kreatives Fest

Mein Rosinen-Rolf-Reimann war kein kreativer Erguss für diese Rezension. Ich habe ihn in einem Spieldurchgang wirklich erschaffen. Wir kreierten Morde mit stumpfen Buttermessern. Mit schwierigen Schwestern. Fiesen Opas. Großer oder kleiner Beute. Ein kreatives und zu dem Zeitpunkt auch kooperatives Vergnügen. Der größte Spaß sind dabei nicht nur die absurden oder blutigen Teilgeschichten, sondern wie gemeinsam am Tisch ein größeres, zusammenhängendes Szenario entsteht. Fortlaufend wird erzählt, fortlaufend entstehen Wendungen, fortlaufend sprudelt die Kreativität wie ein reißender Bach durchs Zimmer. Ein Krimi-Spiel, bei dem der Krimi jedes Mal aufs Neue anders ist. Genial!

Der Reiz entsteht für mich auch durch manche Widersprüchlichkeit der Fragekarten. So können gewisse beantwortende Fragekarten später zunächst unlogisch oder deplatziert wirken. Wer als Gruppe eine Flucht mit dem Rad kreiert, kann später gefragt werden, welches Auto die verdächtigte Person fuhr. Passt das? Nein. Aber es wird dann eben passend gemacht! Kreative Herausforderung. Ich habe dieses Spiel sogar mit meinen Kindern gespielt und würde sagen, es taugt für Kinder, die die ??? zu schätzen wissen. Ja, die Inhalte der Geschichten werden anders sein, aber es funktioniert trotzdem.

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Fragen über Fragen

… leider abgewürgt!

Bedauerlicherweise ist die Rezension noch nicht zu Ende. Ich muss noch einmal auf die Siegpunkte zurückkommen. Ich habe nichts gegen Belohnungen. Ich habe auch nichts gegen semi-kooperative Spielereien, aber die Hatz nach Punkten ist mindestens ein gefährlicher Streifschuss auf Nierenhöhe. Natürlich kann MordsStory ohne Punkte gespielt werden, aber solch eine Hausregel kann nicht Basis dieser Rezension sein, wenn sich so viel am Ende um Siegpunkte dreht. Wir müssen also davon ausgehen, dass MordsStory auch gespielt wird, um zu gewinnen. Wähle ich dann die Fragekarte, die ich gerade am witzigsten finde? Oder stürze ich mich auf die Fragekarten, die mehr Punkte bringen? An welche Geschichte erinnere ich mich am Ende? An eine, wo eine führende Person dann auch noch einen Punkt bekommt? Wird die führende Person vielleicht sogar ignoriert, damit andere aufholen können?

Diese semi-kooperativen Planungsspiele, die durchaus ins Kingmaking abrutschen können, wirken deplatziert. Der kreative Aspekt des Spiels leidet, mehr noch, je nach Natur der Mitspielenden kann durch die Punktehatz sogar so etwas wie Missstimmung aufkommen. Fehlende Beweiskarten und ein Zwang zum Tauschen erzeugen nicht einfach nur eine persönliche Pause des Erzählens, sondern es wird ein schmerzlicher Verlust von Siegpunkten in einem eher kurzen Spiel. Etwas mehr Mechanik, weitere Aktionsmöglichkeiten oder ein höherer Tiefgang hätten dem vielleicht entgegengewirkt, weil durch größere eigene Planungsspiele dann Strategie geboren wird. Mechanisch kann ich einfach zu wenig beeinflussen, als dass eine Hatz nach Siegpunkten wirklich belohnenden Charakter entwickelt. Andererseits ist der luftige, kreative Ansatz des gemeinsamen Erzählens eben gleichzeitig eine Stärke, die gar keine Siegpunkte bedarf.

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Punkte oder Spaß wählen?

Fazit

MordsStory besitzt als Erstlingswerk von Jens-Florian Groß einen Kern, der meine kreative und kooperative Seite perfekt vereint, wie ein passender Fingerabdruck auf einer Mordwaffe. Die gemeinsame, ungemein kreative Erschaffung eines Mordfalls anhand zufälliger Fragen und Beweiskarten kann, gerade in der Kürze der Spielzeit, in der richtigen Gruppe ein gelungener Zeitvertreib sein. Es wäre so allerdings mehr Impro-Krimi-Theater als ein „Brettspiel“. Die Intention, durch Siegpunkte und kleine spielmechanische Aspekte mehr zu bieten und womöglich über einen semi-kooperativen Part zusätzliche Spannung zu generieren, ist absolut verständlich. Und hey, ganz ehrlich, eine Erinnerungsrunde, die die besten Teile des gemeinsamen Storytellings belohnt, fühle ich vollkommen. Die Mixtur taugt dann als Tatwaffe aber so sehr wie das Buttermesser in der Hand von Rosinen-Rolf-Reimann. Spaß hat man trotzdem in kreativer Gruppe, dafür müssen nur Teilaspekte von MordsStory punktuell ausgeblendet werden. Schöner wäre es gewesen, wenn die ignorierten Teile des Spiels es zu einem mordsgutem gemacht hätten.

MordsStory
Spielinformationen
Genre: Krimi-Spiel | Personen: 2-4 | Alter: 14+ | Dauer: 30 - 60 Minuten | Autor: Jens-Florian Groß | Illustrration: Jens-Florian Groß, Midjourney AI | Rezensionsexemplar erhalten
SPIELSPASS
6.5
MATERIAL
7.5
SPIELIDEE
8
Positive Aspekte
Für kreative Köpfe ein launiger Zeitvertreib
Die Fragen leiten Twists und immer neue Entwicklungen ein
Erzählstile der Charaktere bereichern die Atmosphäre ungemein
Wer mit Hausregeln den semi-kooperative Ansatz negiert, darf auf die Wertung einen Punkt addieren
Negative Aspekte
Die Punktemechanik steht konträr zur Kreativität
Königsmacherei am Spielende möglich
Entsprechend ist der semi-kooperative Ansatz leider kein Vorteil
Spielerisch sehr wenig Entscheidungsmacht
6.5
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3 Kommentare. Hinterlasse eine Antwort

  • Schade, bis die Punkte ins Spiel kamen, dachte ich noch, das sei was für mich 🙂

    Da warte ich lieber weiter auf mein vorbestelltes und überfälliges „Unangenehme Gäste“, und fürs kreative Mördern werfe ich lieber ein paar Story-Cubes, da sitzen einem keine Punktrichter im Nacken 😉

    Aber mitspielen – mit Schwerpunkt auf der Story und weitgehender Ignoranz der Punktrichter – würde ich es wohl mal, kaufen sicher nicht.

    Antworten
    • Ja, es ist auf seine Art zunächst wirklich
      spielenswert. Bei der Punkteproblematik musste ich direkt an dich denken, lieber KK. Nennt man das Legendenstatus? Ich muss sagen, Punkte als Gradmesser einer gemeinsamen Story? Kein Problem. Punkte als Teil eines semi-kooperativen Spiel? Kein Problem. Wenn ich aber ein Punktesystem habe und vor allem im Gegeneinander, dann brauche ich mehr spielerische Kniffe, um damit Spielreiz auszuüben, gerade wenn es als System gegen ein anderes System (kooperative Kreativität) bestehen soll. Der Kreative Part, insbesondere über die coolen Fragen und schicken Beweiskarten, taugt nämlich wirklich.

      Antworten
      • Da Spielen ja in erster Linie Spass machen soll frage ich mich, warum eigentlich die Punkte bei solchen Kreativspielen.
        Bei dem mE genialen Krazy Wordz zB ist doch am Ende völlig Wumpe, wer die meissten Punkte hat – Hauptsache, man hatte Spass und hat viel gelacht! Die Punkte dienen hier doch eigentlich nur als Vehikel, nicht völlig belangloses aus den Buchstaben zusammenzulegen und auch ein wenig in die Köpfe der anderen einzutauchen – aber so einen Ansporn braucht man bei einer Krimistory ja nicht wirklich, das macht man da schon aus Eigennutz ganz ohne Punkte.

        Antworten

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