Lesezeit: 6 Minuten
Trickerion – Meister der Magie ist ein magischer Wettstreit auf den Bühnen von Dahlgaard. Ich könnte von Kartentricks, zersägten Jungfrauen und allerhand anderen meisterhaften Illusionen erzählen und wie angestelltes Personal in Form von tüftelnden Ingenieurinnen, zauberhaften Assistenten oder gewieften Managerinnen eure große Show mittragen.

Ich kann euch aber auch vom Herrn der Ketten erzählen, dieser nackte und gefesselte Magier, der am Montag noch großspurig Dahlgaards Straßen mit Werbeplakaten zupflasterte. Am Donnerstag auf ranziger Bühne dann nur als Sidekick von Madame Electra auftrat, um letztendlich zur Prime-Time am Sonntag im schicksten Theater direkt die Show abbrach. True Story! Der gute Herr der Ketten hatte einfach keine Zaubertricks vorbereitet. Klingt komisch? Er schaffte das sogar in der folgenden Woche wieder. Was sagt das Publikum dazu? Wurden Eier geworfen? Zumindest lachten sich alle scheckig. Tja, Trickerion ist ein verdammt verzwicktes Brettspiel, da stehen nackte Typen schon mal dumm auf der Bühne rum.

Kurzcheck: Darum geht es in Trickerion

Bevor wir uns auf die fehlgeleitete Planung des Herrn der Ketten einschießen, erst ein grober Überblick. Trickerion begeistert mich zunächst mit seinem Thema. Wie geil ist das bitte, wenn keine Magier à la Gandalf, Merlin & Co aufwarten, sondern ein Spiel mich mit meiner Kindheit und der Liebe zur Zauberei abholt: Die Illusion einer perfekten Zaubershow. Ich hatte einige Zauberkästen, beherrsche immer noch Kartentricks und war selten so aus dem Häuschen wie bei der Zaubershow 2022 im eigenen Wohnzimmer von den Ehrlich Brothers. Ich steppte vor Begeisterung durchs Wohnzimmer, als hätte ich Koks genommen. In einem Brettspiel genau diese Rolle zu übernehmen – also die des Magiers, nicht des Koks-Tänzers – und in den Gassen von Dahlgaard Geld, Zaubertricks, Utensilien und Personal aufzutreiben, um dann am Wochenende eine fette Show aufzuführen, wo erlebt man das bitte sonst im Brettspielkosmos? Thema also außergewöhnlich wie genial umgesetzt!

Mechanisch ist das Spiel dabei gar nicht so kompliziert aufgestellt. Im Kern plant man zuerst geheim über Karten, in welchen Bereich der Stadt seine jeweiligen Worker in einer Spielrunde arbeiten sollen. Jedem Worker weist du verdeckt so eine Karte zu. Anschließend werden alle Karten gleichzeitig aufgedeckt und die Worker reihum aktiviert. Der Clou: Du darfst immer nur einen deiner Worker verplanen. Dann wäre die nächste Person mit ihrem Worker dran. So verplant ihr nacheinander alle Worker auf die Gebiete. Je früher aber dein Worker in einem Bereich der Stadt eingesetzt wird, desto stärker die Aktionsmöglichkeiten. Da alle Karten offen liegen, wabert Interaktion durch die Gassen. Wo schickst du deinen Worker zuerst hin? Keine leichte Entscheidung! Und hier wird auch klar, warum Trickerion ein Expertenspiel ist.

Trickerion
Üppig gedeckter Tisch.

Einfach? Eigentlich!

Was ist der Reiz dieses Expertenspiels, selbst wenn die Grundmechanik schnell begriffen ist? Spoileralarm: Timing, Verzahnung und Interaktion heißen die Endgegner. Bevor ich euch mit zig Aktionsbeschreibungen allerdings die Hirnrinde anröste, schauen wir doch lieber in meine Gedankengänge bei der Aktionsplanung. Zunächst hat jeder Worker seine eigene Wertigkeit. Der Magier-Worker, also meine im Spiel verkörperte Persönlichkeit, ist am stärksten, danach folgen eingestellte Spezialist:innen, gefolgt von Hilfsworkern am Ende der Skala. Schicke ich mich äh den Magier-Worker zum Markt und bin ich dort zudem als erstes dran, dann habe ich aus Platzierungsboni und Workerstärke so viel Energie, ich könnte gefühlt alle Utensilien für einen Schnapperpreis kaufen! Aber halt … schicke ich meinen Magier-Worker in die Stadt, wer macht dann die Zaubershow? Argh. Willkommen beim ersten Kniff. Ist der Magier nicht im Theater, gibt es keine Show und somit keinen Ruhm! Auch die Spezialist:innen sorgen auf den Aktionsslots der Bühne für die lukrativsten Extra-Boni, nur irgendjemand muss in der Stadt auch das Spiel voranbringen.

Trickerion
Wo die Worker einsetzen?

Die verhasste Stadt

Es müssen Zaubertricks in der Werkstatt vorbereitet werden. Sie müssen aber auch auf der Bühne aufgebaut werden. Und zuerst brauchst du die passenden Utensilien. Manche müssen bestellt werden und sind erst nächste Runde zu kaufen. Du musst weitere Zaubertricks organisieren, denn das Publikum verlangt nach Action. Dazu kannst du neue Worker kaufen oder Geld eintreiben, wobei die Auswahl jede Runde schwankt. Übrigens musst du am Ende jeder Runde alle Worker auch noch bezahlen, sonst verlierst du Ruhm ergo Siegpunkte. Alles nicht so einfach, zumal du zum Start nur drei Worker hast! On Top wollen alle irgendwie das Gleiche und teilweise schnappt man sich auch noch Dinge weg. Jeder Zaubertrick ist z. B. nur einmal im Spiel vorhanden. Und dann wären wir eben Mitten in der allzeit greifbaren Interaktion.

Symbiose aus Worker und Aktionsplatz und daraus resultierende Aktionspunkte.

Dein Plan? Mein Plan!

Du willst den in dieser Runde ausliegenden Assistenten-Worker im Stadtzentrum einstellen? Planst deinen Hilfs-Worker also verdeckt fürs Stadtzentrum ein. Schau mir in die Augen, siehst du da den imaginären Arsch-Finger? Wir decken unsere Karten auf und schau, auch ich habe einen Worker fürs Stadtviertel verplant. Ich checke deine Planung und bin vor dir dran. Natürlich aktiviere ich nicht meine anderen Worker, die sonst wo arbeiten, sondern nehme den, der ins Stadtzentrum wandert. Ich will dort gar nicht den Assistenten-Worker, aber das Geld. Ich brauche drei Energie dafür. Erster Slot plus Worker-Stärke ermöglichen mir das. Du bist dran. Der zweite Slot plus deine Worker-Stärke reichen leider nicht mehr, um den Assistenten-Worker einzustellen. Ups. Hättest du für das Stadtzentrum mal einen stärkeren Worker verplant.

Was aktivierst du jetzt? Nun, wir beide haben unseren Magier-Worker für das Theater verplant. Du rächst dich und stellst deinen Magier-Worker auf den lukrativen Sonntags-Slot. Autsch, das hätte ich auch gerne gemacht. Jetzt muss ich Donnerstags ran und verdiene weniger Geld und Ruhm. Dieses Wechselspiel aus verdeckter Planung und Timingkonflikten bei der folgenden Aktivierung sorgt jede Runde für enorme Spannung und spielerische Zwickmühlen. Echt großartig! Ich grinse. Ich fluche. Ich lache aus. Manchmal brauche ich Taschentücher.

Trickerion
Unzählige Zaubertricks!

Mein Kopf platzt

Und jetzt könnt ihr erahnen, warum der Herr der Ketten nackt auf der Bühne ohne Zaubertrick stand. Wer andere Spielende falsch einschätzt, seine Worker ungünstig verplant und in der Aktivierungsreihenfolge Fehler begeht, der erlebt Runden, die sind zum Fremdschämen. Man braucht kein Publikum, um zu merken, dass seine Planung jeglichen Eierwurf im Theater rechtfertigen würde.

Schrieb ich Theater? An dieser Stelle dreht Trickerion dann eh noch etwas an der Komplexitätsschraube. Ich spare euch die Details, aber die Aufführung von Zaubertricks ist ein nicht ganz einfaches Puzzle-Spiel, bei dem ihr auf verschiedenen Bühnen eure Tricks und die der anderen Spielenden aneinanderlegt. Wirkt vielleicht unthematisch, ich empfinde das als eine Art Show-Planung passend. So greift man Boni ab, bekommt mehr Punkte bei den Shows und kann aber auch anderen die Show verderben, weil man sich anzeckt und das Theater plötzlich als Hauptakt selbst beansprucht oder bei fremden Shows lukrativ mitverdient. Auch hier ist Timing, die strategische Planung von Workern und Zaubertricks wie auch der Blick auf die Aktionen aller Spielenden unabdingbar.

Trickerion
Fettes Gerangel im Theater!

Das kritische Kaninchen

Soll ich jetzt noch ein Kaninchen Kritik aus dem Hut zaubern? Gut, das weiße Kaninchen hat zwei Ohren und damit biete ich euch auch zwei Ansatzpunkte. In Trickerion  erlebe ich keine Downtime. Die Zeit vergeht wie im Fluge und trotzdem dauert eine Partie in Vollbesetzung einfach immer länger, als ich denke. Je nach Erfahrung sind das oft drei bis vier Stunden, wenn man mit allen Modulen spielt. Der zweite Punkt sind die vier Zauberschulen mit seinen Tricks. Auf Dauer sind diese vielleicht etwas zu begrenzt und sich zu ähnlich. Wer also Trickerion ständig auf dem Tisch hat, könnte sich hier mehr Abwechslung wünschen. Ich tue das nicht, weil ich solch verzahnten und komplexen Spiele weit weniger oft spiele. Da die Interaktion Spielspaßgarant ist, ist Trickerion aus meiner Sicht übrigens besser mit 3 oder 4 Personen als nur zu zweit.

Trickerion
Deine Schaltzentrale.

Fazit

Trickerion habe ich lange verschmäht. Zu braun und zu eintönig in der Gestaltung. Was war ich für ein Depp! Dieses Spiel ist thematisch so wunderbar ausgefallen und nach etwas Einarbeitungszeit sogar für den Anspruch extrem zügig und fast leichtgängig zu spielen. Ich liebe jeden einzelnen Zaubertrick, wandere im Geiste durch Dahlgaard und feiere jede Show, als würde ich selbst auf der Bühne stehen. Wie ein grandioser Zaubertrick mich in perfekte Illusionen hüllt, so hüllt mich Trickerion in dichte Immersion. Alleine wegen des Themas kommt dieses Eurogame immer wieder auf den Tisch. Spielerisch begeistert es mich aber ebenso. Eigentlich ein fast einfaches Workerplacement, welches aber durch das Zusammenspiel aus verdeckter Planung und hoher Interaktion jede Runde so unfassbar viele reizvolle Entscheidungen generiert. Austüfteln von langfristigen Strategien wird zudem belohnt. Antizipation gehört ebenso dazu wie die flexible Anpassungen der eigenen Planung, weil keine Runde vergeht, wo andere Spielende dir Zauberhüte zwischen die Beine werfen. Ja, irgendwie dauert zu viert eine Partie zu lange, aber im Spiel merke ich davon nichts. Entsprechend ist Trickerion für mich ein ganz besonderes Brettspiel, welches immer einen Platz in meinem Regal besitzen wird.

Trickerion
Spielinformationen
Genre: Workerplacement | Personen: 2 - 4 | Alter: ab 14 Jahren | Dauer: 60 - 180 min | Autor: Richard Amann, Viktor Peter
SPIELSPASS
9.5
MATERIAL
8.5
SPIELIDEE
8.5
Positive Aspekte
Außergewöhnliches Thema
Einfaches Grundprinzip ...
... anspruchsvoll in der Anwendung
Sehr hohe Interaktion
Langfristige Strategien werden belohnt
Negative Aspekte
Spielzeit kann sehr ausufern
Bühnenauftritte schwer zu verstehen
9.5
Redakteur | Admin | Gründer von Brett & Pad | Website | + Letzte Artikel

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3 Kommentare. Hinterlasse eine Antwort

  • Denny Crane
    15. Januar 2024 22:54

    Die hohe Interaktion ist das, was mich jetzt doch ganz ordentlich bei dem Spiel aufhorchen lässt. Danke für den Tipp.
    Was leider hart die Schmerzgrenze reißt ist der Preis. Den erkenne ich jetzt in deinen Bildern zu dem Spiel nicht

    Antworten
    • Hallo Danny,

      das Spiel kostet 70€, das finde ich in der heutigen Zeit als UVP eigentlich ganz passend. Viel Holz, dicke Tableaus usw. Es ist auch relativ preisstabil. Ich habe es vor einigen Jahren auf der SPIEL inkl. einer kleinen (aber unnötigen) Erweiterung für 77€ gekauft.

      Wenn mich nicht alles täuscht, dann erscheint in der Spieleschmiede bald auch eine Neuauflage des Spiels inkl. einer Deluxe/All-In-Box oder so.

      Ich finde das Spiel wirklich sehr cool. Das Thema ist erfrischend, das Worker-Placement gut und eben auch interaktiv und das Puzzle der Show ist dann das Highlight. Wenn du ne Gruppe aus drei oder vier Personen hast, die auf das Thema abgehen, dann kann ich es echt empfehlen.

      Gebraucht gibt es das tlw. ja sogar günstiger.

      Liebe Grüße

      Christian

      Antworten
  • Wir spielen es mit der Dhaalgarts Geschenke Mini Erweiterung auch sehr gerne zu zweit.
    Die Interaktion wird dadurch weniger bissig, aber das muss ja nichts schlechtes sein 😁

    Das Spiel setzt das Thema mit so viel Herzblut um, dass es auch niemals aus meiner Sammlung ausziehen wird!

    Antworten

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