Nur noch 2 Minuten und 3 Sekunden und viel zu viele unbehandelte Patienten auf Station 2. Hoffentlich bricht keine Epidemie aus. Welcher Depp blockiert eigentlich die Blutentnahme? Wer ist blau! Hallo!!! Da ist ja meine Leber, verdammt, sie will sich mit der Pinzette nicht greifen lassen. Gruppenpuls bei 180 Schlägen, Bluthochdruck am Tisch, hektische wie lautstarke Konversation, was denken eigentlich die Nachbarn? Illegale Organentnahme im Wohnzimmer?
Kurzcheck: Darum geht es in Rush M.D.
Rush M.D. von Artipia Games simuliert den Alltag in einem Krankenhaus. Man übernimmt dabei die Kontrolle über das Krankenhauspersonal, das aus vier Krankenschwestern und der Spieleranzahl entsprechenden Ärzten wie Ärztinnen besteht und versucht kooperativ so viele Patienten wie möglich zu behandeln. Neben der Aufnahme schickt man sie zu diversen Untersuchen in den OP, pflegt sie auf der Station mit den richtigen Medikamenten und kümmert sich um Nachschub von Organen, Blut und medizinischen Material. Der Krankenhausalltag wird hier für ein Brettspiel wirklich gut abgebildet.
Rush M.D. ist dabei ein Echtzeitspiel und eine Runde geht über vier Minuten. Anders als in anderen Spielen besteht das Personal nicht aus Meeple-Figuren, die man dann auf Aktionsfeldern einsetzt, sondern aus Sanduhren. Ich kann daher innerhalb der 4 Minuten die Arbeiter nur begrenzt einsetzen, weil sie selber einen Timer besitzen. Einmal eingesetzt, kann ich nun innerhalb der Zeitspanne die Aktion ausführen, darf die Sanduhr aber nicht umsetzen. Die Quintessenz zum Erfolg in Rush M.D. ist also kooperatives Zeitmanagement. Um das Spiel zu gewinnen, muss man nach vier Runden zusammen eine bestimmte Anzahl an Patienten behandelt oder ein gewisses Ansehen erarbeitet haben.
Kontrolliertes Chaos
Die Einsteigermission ist noch fast im Schlaf zu gewinnen und taugt schnell nicht mehr. Danach kann man den Schwierigkeitsgrad über Missionskarten aber anpassen. Was bleibt ist der knallharte Zeitdruck und das daraus geborene Chaos. Wer Hektik am Tisch nicht mag und lieber gemütlich die Seele baumeln lassen will, für den ist Rush M.D. ein Albtraum. Es geht am Ende nicht nur alleine durch die Zeitvorgabe hektisch zu, die theoretisch bei der möglichen niedrigen Annahme von neuen Patienten locker ausreichen würde. Durch solch ein Vorgehen verliert man am Ende die Partie. Praktisch muss man als Gruppe einfach zügig spielen, um die Anforderungen der Missionskarten zu schaffen und dafür müssen entsprechend viele Patienten aufgenommen werden.
Ich persönlich liebe immer wieder die Entwicklung am Tisch. Aus einem erstmal ratlosen Haufen von Spielern, die in der ersten Runde Patienten in den Tod treiben, werden am Ende präzise arbeitende Skalpelle. Jeder weiß was der andere macht und man arbeitet gemeinsam unter knappen Befehlen der Gruppe auf Hochtouren. Ein berauschendes Gefühl, wenn man als eingespieltes Team nach einigen Partien den Laden schmeißt und man mit dem selbstsicheren Lächeln eines Helden im weißen Kittel über seine Unbeholfenheit in der Erstpartie nachdenkt.
Nicht dein Ding?
Was allerdings nicht jedem schmecken wird, ist der nicht zu unterschätzende Anteil an Geschicklichkeitsübungen. Es ballert einem nicht nur die Uhr den Druck durch die Venen! Viele Untersuchungen sind begleitet von der Pinzette, mit der man Spielmaterial bewegen muss. Sei es beim Befüllen der Spritze mit passenden Spielsteinen oder dem Hantieren der Organe. Da rutschen und flutschen einem öfters die Spielsteine über den Tisch. Auch manch andere Untersuchung wie in der Radiologie oder der Blutuntersuchung erfordert Fingerspitzengefühl und all das wohlgemerkt immer unter hohem Zeitdruck. Für mich ist das die Extra-Portion Spielspaß, allerdings wird das definitiv nicht jeder Spielernatur gefallen. Das Spielmaterial hingegen ist absolut genial! Die 3D-Krankenhausbetten, die echten Spritzen und die vielen Spielsteine aus Holz sind absolute Oberklasse und unterstützen das perfekt umgesetzte Thema enorm.
Die richtige Dosierung
Ich denke bis zu diesem Absatz wurde klar, das ich Rush M.D. für ein gelungenes Brettspiel halte. Wollen wir das Krankenhaus an dieser Stelle etwas einreißen. Das größte Problem von Rush M.D. ist sein Langzeitspielspaß. Die Missionskarten bringen am Ende zu wenig Abwechslung und die Abläufe im Brettspiel werden zur Routine. Das mag zwar den Krankenhausalltag perfekt abbilden, aber ein eingespieltes Team wird so nicht nur zum Bezwinger lebensbedrohlicher Verletzungen, sondern entlässt auch den Spielspaß. Neue Spieler durchbrechen natürlich dieses Problem temporär und Rush M.D. bleibt alleine vom Thema im Schrank, aber etwas mehr Modularität oder abwechslungsreichere Missionsziele wären schön gewesen.
Fazit
Rush M.D. ist in Sachen Spielspaß wie ein typischer Krankheitsverlauf, nur auf den Kopf gestellt. Es fängt chaotisch an und unter lautem Gelächter, getrieben von der Hektik und dem eigenen Unvermögen bei den Geschicklichkeit-Herausforderungen, ist der Spielspaß fulminant. Die Arbeiter als Sanduhren sind zudem noch immer eine wahrlich frische Mechanik. Wenn der erste Patient dann gestorben ist und das Krankenhaus an Ansehen einbüßt, ist auch die Motivation auf dem Höhepunkt. Man stellt sich als Team neu auf, einigt sich auf eine Strategie, verteilt Aufgaben, man wächst zusammen. Irgendwann läuft es in der Radiologie, die richtigen Medikamente sind immer vorrätig und wenn man neue Nieren im OP einsetzten will, sind auch welche da und man packt sie mit traumwandlerischer Sicherheit mit der Pinzette! Der Gipfel der kooperativen Herausforderung ist erklommen, die Patienten gesund. Läuft es so gut, sinkt der Spielspaß merklich. Wer das Spiel einmal gemeistert hat, wird es maximal für eine neue Gruppe auf den Tisch bringen, denn es fehlt an weiteren motivierenden Zielen oder einem modularen Aufbau, der erfolgreiche Routinen im Team bricht. Der Weg dahin, gekreuzt mit dem frischen Thema und großartigen Material, sorgt dafür, das Rush M.D. trotzdem für Fans von kooperativer Hektik geeignet ist.
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