Kurzcheck: Worum geht es in First Class
Ich hatte ja erst bedenken, dass First Class meinem doch gern gespielten Russian Railroads zu ähnlich ist. Mit Helmut Ohley schwingt der Gleicher Autor das Zepter und das Thema Eisenbahn ist eben auch identisch. Aber ich kann euch versichern, die Unterschiede sind groß genug und First Class hat doch eine andere spielerische Ausstrahlung und das nicht nur weil es ein Kartenspiel ist. Grundsätzlich übernehmen in First Class die Spieler die Aufgabe für eine Orient Reise innerhalb von sechs Runden zwei komfortable Züge zu entwerfen, um damit in jeweils drei Wertungsrunden die meisten Punkte zu ergattern. Entscheidend ist aber nicht nur der Komfort der Waggons, sondern auch deren Anzahl, wie weit der Schaffner im Zug läuft und welche Strecke man für seinen Zug ausbaut.
Jeder Zug konsequent unter Volldampf
Am Anfang einer Runde werden 18 Karten in 3 Reihen á 6 Karten offen ausgelegt. Aus diesen 18 Karten darf man abwechselnd Karten ziehen bis jeder Spieler drei Karten sein eigen nennt. Jede Karte steht für eine Aktion im Spiel – dazu später mehr. Die ausliegenden Karten werden mit zunehmender Spieldauer oft mächtiger, was nicht heißt das man die ersten Runden verschlafen angehen kann. Denn hochgerechnet über die Gesamtrundenzahl zieht jeder Spieler nur 18 Karten, dann ist Schluss! Wer ein paar Karten zieht die im nachhinein nicht die richtigen Effekte erzielen, der kann Probleme in den drei Wertungsphasen bekommen. Das wirklich fiese ist, das wenn aus einer Reihe so viele Karten gezogen wurden wie Spieler teilnehmen, wird die ganze restliche Reihe abgeräumt.
Heißt, liegen am Anfang in der ersten Reihe sechs Karten aus, und bei zwei Spielern nehmen diese in der ersten Runde aus besagter Reihe ihre Karte, fliegen vier Karten sofort auf die Ablage. Es ist also nicht nur von Bedeutung welche Karte mir den größten Vorteil gibt, sondern auch von wo ich sie nehme. Bleiben wir bei den Beispiel. So könnte es sein, das Holger, 40 Jahre, aufbrausender Lokführer mit schwarzen Haaren, unbedingt eine Karte aus der ersten Reihe, aber auch eine aus der zweiten Reihe haben möchte. Entscheide ich mich als Startspieler für eine Karte aus der ersten Reihe und Holger wählt seine Karte aus der zweiten Reihe, dann fliegen alle Karten aus der ersten Reihe, wenn ich aus dieser meine zweite Karte nehme. Ergo geht Holgers Wunschkarte vor die Gleise. First Class ist hier also nicht nur ein Optimierungsmonster, sondern man kommt sich bei der Kartenauswahl auch wunderbar ins Gehege Gleisbett.
Vom Güterwaggon bis zur First Class
Der Ausbau der Waggons ist eines der Kernelemente von First Class. Dabei kann man zwei Züge mit jeweils 10 Waggons ausbauen. Die meisten Punkte, nämlich 12, gibt es durch luxuriöse Waggons, wobei man mit 0 Punkten durch einem ollen Güterwaggon startet. Das Ausbauen zur First Class Abteilung hat es dann aber in sich. Denn erstens muss jede Stufe nacheinander ausgebaut werden, ich kann also nicht in einem Schwung aus einem 2-Punkte-Waggon einen 12-Punkte-Bling-Bling-Waggon machen. Vom 0er, geht es über den, 1er, 2er, 4er, 7ner bis zum 12er Waggon und das nicht willkürlich! Und da wären wir beim zweiten Punkt: die Reihenfolge muss absteigend zu den angrenzenden Waggons eingehalten werden. Heißt, ist mein erster Waggon sieben Punkte wert, kann ich einen rechts daneben gebauten Waggon nicht auf 12 Punkte hochstufen, sondern muss den ersten Waggon ausbauen. Knifflig, aber bei weitem nicht alles! Hatte ich erwähnt das es auch Schaffner gibt? Diese stehen am Anfang des Spiels noch vor dem Zug, können aber schrittweise die Waggons durchlaufen. Und die sollten die Beine in die Hand nehmen, dann nur Waggons durch die der Schaffner gelaufen ist, bringen Punkte ein!
Üppige Auswahl an Strategie im Speisewagen
Eingangs schon erwähnt, ist die Möglichkeit in First Class Punkte einzufahren vielfältig, oder sagen wir besser, der Weg dorthin ist äußerst variantenreich. Denn neben dem Ausbau der Waggons kann ich noch eine Eisenbahnstrecke bauen. Hier winken Extrapunkte und Sonderaktionen während der Wertungsphase. Dazu gibt es fünf verschiedene Module, das sind Extrakarten die in die jeweiligen Grundkarten gemischt werden. Zwei Module pro Spieldurchgang benötigt man. Hier gibt es Auftragskarten, die bei der Erfüllung mächtige Aktionen freischalten, oder reiche Passagiere, die in ihren platzierten Waggons die Punkte verdoppeln. Den C-Promi in den 12er Wagen, da lacht das Eisenbahner Herz über 24 Punkte!
Man kann mit Postkarten-Karten aber auch seine Eisenbahnstrecke lukrativer machen, weil man alle Aktionen auf dem Pfad doppelt ausführen darf. Habe ich das Geld erwähnt? Für jede Münze kann man am Anfang Waggons der ersten Stufe bauen, ganz ohne Karte! Wer mehr zusammen spart darf mächtigere Aktionen ausführen. Wie wäre es mit dem Krimi-Modul, wo ein Spieler plötzlich einen Mörder im Zug hat? Der Spieler der am Ende die meisten Verdächtigungen gesammelt hat, scheidet aus dem Spiel aus. Äußerst kompetitiv. Ich könnte ein paar weitere Absätze mit Erläuterungen über die verschiedenen Module füllen und deren taktischen Kniffe erklären, spare mir das aber, denn ich denke es ist klar geworden: First Class hat eine mehr als üppige Auswahl!
Unfaire Endwertung?
Und diese ist pro Runde auch noch zufällig gezogen! Denn welche 18 Aktionskarten zu welcher Zeit ausliegen, weiß ich nie, zumindest innerhalb der drei vorsortierten Nachziehstapeln. Zusätzlich gibt es Bonuspunkte für die Spieler die zuerst eine Eisenbahn aus 10 Waggons gebaut haben, und mächtige Zusatzaktionen durch Postwaggons, von denen jeder vier auf der Hand hat. Die Krone der Symbiosen sind dann die Spielendekarten. Diese hat man verdeckt auf der Hand und bringen am Ende Punkte für im laufe des Spiel gezogene Aktionskarten, aufgeteilt nach Art (Schaffnerkarte, Abteilkarte und Zugkarte). Das ist der Punkt wo der sicher geglaubte Sieg sich noch in Ruß auflöst, wenn die Gegenspieler zu Spielendekarten die passende Strategie im Spiel entwickelt haben. Ein Punkt der mir nicht so ganz gefällt, vor allem weil man durch das Sammeln gleicher Spielendekarten einen hohen Multiplikator erreicht, der wirklich immens viele Punkte bringen kann.
Das Spielgefühl
Ich liebe das einfach, so viele verschiedene Wege, so fette Kombinationen, aber so wenige Runden und zu ziehende Karten. Und wäre es nicht schwer genug, ärgert einen auch noch die Konkurrenz! Ziehe ich jetzt eine Aktionskarte mit dem ich einen Waggon von 0 auf 1 upgrade und das gleich zweimal und dann mit der gleichen Karte einen Waggon von 1 auf 2 setze? Oder nehme ich mir den Auftrag, der mir erst beim Ausliegen von sechs 1ner Waggons Upgradeoptionen bietet, dafür allerdings in höherer Anzahl? Aktuell würde mich die Karte aber gar nicht vorwärts bringen. Was wird mein Gegenspieler ziehen? Aus welcher Reihe? Ich bin unentschlossen. Wenn ich hier richtig liege, kann ich drei gute Karten erwischen, verzocke ich mich, fliegt vielleicht eine Reihe aus der ich noch eine Karte wollte komplett weg.
Also jetzt die Waggons aufwerten, dann muss ich den Schaffner aber noch vorziehen, ansonsten bekomme ich keine Punkte in der Wertungsrunde – es liegt aber nur eine Schaffner-Karte aus. Falls mein Mitspieler diese nun nimmt, bringt mir das Upgrade der Waggons auch nichts. Ich entscheide mich für den Ausbau der Eisenbahnstrecke und ziehe danach noch eine Karte um auf der Strecke nach vorne zu fahren. Jetzt darf ich in jeder Wertungsrunde gratis upgraden und kriege zwei Münzen. Mein Gegenspieler entscheidet sich für einen Auftrag, ein Upgrade der Waggons und einem zweiten Auftrag.
Natürlich schaffte der Mitspieler in späteren Zügen die Aufträge und ballerte mir, man verzeihe mir den Ausdruck, eine perverse Upgrade-Kombinations-Kette um die Ohren, die Dampfwalzen Mentalität hatte. Er, also der Mitspieler mit der Dampfwalze, ist eine Sie und meine Frau. Sie sollte die Branche wechseln mit ihrem Talent für Eisenbahnspiele.
Zum Schluss das Beste
Ihr wisst nun eines ganz sicher, First Class ist spielerisch sehr Abwechslungsreich und belohnt gutes Taktieren. Bei der Hülle und Fülle an Aktionen könnte man nun meinen, First Class ist ein wahres Schwergewicht mit entsprechender Spielzeit. Dem ist nicht so! Und hier grenzt es sich dann endgültig von Russian Railroads ab, denn die 20 Minuten pro Spieler auf der Spielverpackung sind durchaus realistisch. Und für die Paare unter den Brettspielern, es ist auch zu zweit ganz wunderbar zu gebrauchen – außer Modul C „Wer ist der Mörder“ ist witzlos, da im Grunde ein Spieler immer raus fliegt und so das Punktesammeln etwas obsolent wird. Die restlichen Module funktionieren aber einwandfrei zu zweit. Und jetzt der Paukenschlag, das Spiel erkläre ich jedem in maximal 15 Minuten.
Fazit
First Class ist eine gelungene Symbiose aus schwergewichtigem Güterzug mit Waggons voller taktischen Kombinations-Ketten und einer Hochgeschwindkeitsbahn in Sachen Einstieg, Spiel- und Erklärzeit. Hier rauschen Vielspieler im Optimierungswahn Richtung Perfektion und Einsteiger freuen sich über bequeme Sitze im Orient Express bei wunderbarem Ausblick auf die ersten strategischen Tiefen. Und das Schöne, es funktioniert eigentlich sogar wenn alle zusammen im gleichen Zug sitzen. Durch die Module ist First Class hochgradig flexibel und bleibt lange frisch! Die Variante mit dem Mörder ist originell, wenn auch zu zweit nicht zu gebrauchen. Sonst skaliert das Spiel vorbildlich und ist in der maximalen Besetzung von 4 Spielern genau so spannend zu Spielen wie zu zweit. First Class ist durch seine Zugmechanik angenehm kompetitiv ohne zu frustrieren. Es gibt nicht mal bei der Spielqualität etwas zu beanstanden und so denke ich, haben wir mit First Class den ersten Kandidaten für das Kennerspiel 2017.
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