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Wenn du im Diskettenlaufwerk einen Fisch findest, dann ist klar, Houston, we have a Dolphin! Und das könnte nicht ungünstiger sein, schließlich wurde gerade die Erde vaporisiert und nur wenige Wissenschaftler konnten sich in ein Raumschiff retten. Wenn jetzt die heimtückischsten Wesen der alten Erde, nämlich die verdammten Delphine, die Kontrolle übernehmen, dann wird erstens das Raumschiff geflutet und zweitens ist die neue Erde nicht Terra 2, sondern Aquarius, der Wasserplanet. Also als Captain in die Hände gespuckt und ein paar Astronauten in die Leere des Alls geworfen – hey, man braucht schließlich ein Druckmittel! Nun zeig dich schon, du fiese Delphin-Bestie, du delphinisiert mich nicht!

Kurzcheck: Darum geht es in Houston, we have a Dolphin!

Ihr merkt, das Thema ist wieder abgefahren, was Kenner nicht verwundert, steht doch das Erstlingswerk Soviet Kitchen vom Autor Andreas Wilde für ähnlich abgedrehten Charme. Houston, we have a Dolphin! ist ein kartenbasiertes Soziales-Deduktions-Spiel mit der Besonderheit, dass schon bei drei Personen der Delphin durchdrehen kann. Vorbei sind die Zeiten, wo der Spaß sich erst bei 5 bis 8 Personen entfaltet. Ermöglicht wird dies durch eine App, die als Spielleiter fungiert und sogar die Spielkarten austeilt.

Kommen wir zur Action auf der Palermo 13, dem letzten Raumschiff der Menschheit. Je nach Personenanzahl haben sich ein bis zwei Delphine eingeschlichen, die versuchen, das Raumschiff zu fluten. Das überlebt kein Mensch, ergo hätten die Delphine gewonnen. Die Menschen hingegen müssen drei kaputte Module des Raumschiffs abtrennen, die eine Weiterfahrt verhindern. Ist dies geschafft, kann der Captain das Raumschiff wieder starten und die Delphine schauen dumm aus ihrem Luftloch. Zweite Möglichkeit zu gewinnen: vernichte alle Delphine.

Der Spielaufbau bei vier Spielern. In der Mitte das Smartphone, welches gerade auffordert eine Karte auf Platz A zu spielen.

Einfaches Grundprinzip

Der Spielablauf ist immer gleich! Drei Astronauten müssen pro Runde verdeckt ausgespielt werden, die dann anhand ihrer Funktion Aktionen auslösen. Der grundlegende Zug zur Ablösung der Module, wäre das Ausspielen eines Helden, denn nur dieser bringt den Mut der gefährlichen Reparatur an der Außenhülle auf, umringt von jeweils einem Ingenieur auf jeder Seite. Hierbei muss zusätzlich die Richtung stimmen, denn jede Karte kann entweder nach rechts, links oder in beide Richtungen agieren, dargestellt durch blaue und rote Pfeile. Beim verdeckten Ausspielen der Karten werden diese vor der Ablage einmal mit dem zentral ausliegenden Smartphone gescannt. So weiß die App am Ende, auf welcher Position die jeweiligen Karten liegen und in welche Richtung die Pfeile zeigen.

Die Pfeile helfen bei der Orientierung, rechts die drei zu lösenden Module.

Die App als Spielleiter

Nun spuckt die App die Ergebnisse aus! Läuft alles optimal, würde die App nun der Spielgruppe mitteilen, das ein Held das erste Modul abgekoppelt hat. Panik kommt nun dadurch auf, das es natürlich nicht nur Ingenieure als Karten gibt und diese nicht nur mit Helden agieren. Ausgespielte Delphine töten immer, Karten, die in der Mitte von zwei Ingenieuren liegen und keine Helden sind, werden ebenfalls getötet! Außer der Space-Hund, der ist so süß, den tötet kein Mensch. Der Delphin hätte allerdings keine Hemmung. Obendrauf kommt noch die 20%-Chance, das die App Asteroiden einstreut. Hier stirbt zufällig eine Karte.

Links der Check der App, rechts die Regelübersicht für das Spiel mit Heldenfähigkeiten.

Der Witz ist nun, dass die App nie erzählt, warum etwas passiert, sondern die Gruppe nur mit dem Ergebnis konfrontiert. Das sorgt natürlich für Unmengen an Interpretation und Kommunikation am Tisch. Wieso ist nun auf Platz A die Karte gestorben? Rechts davon, war das ein Delphin? Wer hat den gespielt? Oder war es nur Zufall und der Asteroid? Vielleicht hat der Delfin-Spieler heimlich, statt wie versprochen einen Helden, einen weiteren Ingenieur gespielt, der dann mittig zwischen zwei Ingenieuren liegend, getötet wird? Perfekte Anschuldigung incoming! Zumindest aber Fragen über Fragen! Hätte doch jemand einen Observer gespielt, nur durch diese Karte gibt die App mehr Informationen preis!

Einige Karten im Detail.

Das Spielgefühl

Beim obigen Beispiel, könnte auch eine Person am Tisch behaupten, dass seine gerade in die Leere geschossene Karte der Hund war! Das würde bedeutet, das rechts oder links der Delfin liegen müsste. Zack, mögliche Delphin-Spieler enttarnt, denn Ingenieure töten keine Hunde. Was ist nun aber, wenn der Delphin-Spieler, derjenige ist, der behauptet den Hund gespielt zu haben, es aber eine verdammte Lüge ist? Nun wird möglicherweise eine Person aus dem Team der Menschen als Delphin gehalten. Zumindest, wenn man das Glaubhaft verkauft. Die Wahrheit kennt nur die App!

Man kennt und liebt genau deswegen Soziale-Deduktions-Spiele und Houston, we have a Dolphin! liefert diese Elemente ab. Allerdings fühlen sich die ersten Partien weniger gut an. Die Mechanik hinter der App muss man erst einmal verstehen. Anfänglich wusste ich nicht so recht, wie sich das Spiel entwickeln kann. Wie werden Karten überhaupt verteilt? Kann ein Captain auch Delphin sein? Sind in den Modulen noch Delphine versteckt? Gibt es einen Start ganz ohne Delphin? Ist der Hund immer dabei? Man weiß es nicht, weil die App so mächtig ist und selbst den Spielaufbau übernimmt. Auch das richtige Verhalten bei den Abstimmungen muss gelernt werden. Ich hatte anfänglich Fragen über Fragen und wir strauchelten etwas durch die Palermo 13. Durch weitere Partien veränderte sich das Verständnis zur Mechanik und ihren Möglichkeiten. Plötzlich entfaltete sich der Spielspaß und Strategien konnten entwickelt werden, die man anfänglich nicht auf dem Radar hatte.

Wer hat nun was gespielt?

Die Knallharte Abstimmung

Zeit für die Meuterei! Nachdem die App das Ergebnis mitgeteilt hat, kommt es zur Auseinandersetzung mit dem Captain. Dieser bestimmt nun folgendes: Fluten des Raumschiffs, Bestrafung eines Astronauten, indem er in die Leere des Alls geschossen wird oder starten des Raumschiffs. Ersteres macht natürlich nur ein Delphin-Captain, letzteres nur ein menschlicher Captain, wenn alle drei Module abgekoppelt wurden. Die goldene Mitte und steter Begleiter der Crew ist das Töten eines Astronauten. Dafür wählt der Captain eine andere Person aus und diese muss verdeckt eine Karte ablegen. Davor müssen nun alle anderen abstimmen, ob sie das gut heißen. Dies geschieht über Panik-Tokens. Wurden von allen Spieler mindestens so viele eingesetzt, wie abstimmende Personen am Tisch sitzen, wird der Captain ins All geballert und derjenige mit der meisten investierten Panik wird neuer Captain.

Hier eröffnet sich nun ein Spiel im Spiel! An Panik-Marker kommt man nämlich nur über zwei Wege. Erstens, ich spiele in der ersten Phase keine Karte. Denn jede Crew, die nicht beim Ausspielen von Karten beteiligt wird, erhält eine Panik. Zweitens, man verzichtet beim Lösen eines Moduls auf das Nachziehen einer Karte. Das beschert einem ganze 3 Panik-Marker. Es ist ziemlich wichtig als Delphin möglichst viel Panik zu haben und gleichzeitig dafür zu sorgen, das andere wenig Panik haben. Nur so kann man selbst sicher Captain werden und zur richtigen Zeit das Raumschiff fluten. Anderseits müssen die Menschen immer überlegen, ob sie nicht selbst Panik sammeln, damit eben ein Delphin vom Befehl des Flutens abgehalten werden kann. Unnütze Abstimmungen und Meutereien helfen nur dem Delphin. Ist zu lange der falsche Captain an der Macht, hilft es aber auch nicht den Menschen. Viel Spaß bei den hitzigen Diskussion zur Abwahl des Captains und dem taktischen Erspielen von Panik-Markern!

Vorsicht vor dem Captain!

Fazit

Nicht nur der Fisch irritierte im Diskettenlaufwerk, nein, auch der Spielspaß klemmte. Die durchaus pfiffige und technisch saubere App, die nicht nur die Spielleitung übernimmt, sondern auch den Spielaufbau, schafft anfänglich eine gewisse Distanz zwischen der Mechanik und den Spielern. Es braucht ein paar Ausflüge mit der Palermo 13, bis man mit der App eine Einheit bildet. Erst dann wird einem bewusst, was für strategische Möglichkeiten hier gegeben sind, die mit der Erweiterung nochmals enorm steigen! Plötzlich flammen die geliebten Diskussionen von guten Sozialen-Deduktions-Spielen auf. Es wird geblufft und gemeutert und schlussendlich vertraut man niemanden! Wohlgemerkt schon ab drei Spielern, was wirklich außergewöhnlich ist. Trotzdem steigt für mich der Spielspaß, wenn noch weitere Personen am Tisch sitzen. Mehr Panik, mehr Delphine, mehr Power! Der Start von Houston, we have a Dolphin! mag durch die App etwas holprig sein, am Ende ist sie aber der Treibstoff für ein einzigartiges Erlebnis!

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5 Kommentare. Hinterlasse eine Antwort

  • Huhu Christian!
    Danke für deine Rezension! Schön, dass es euch schlussendlich gefallen hat!
    Den Spielaufbau haben wir mittlerweile etwas transparenter gestaltet. Man weiß nun genau bescheid, welche Charaktere an Bord sind!
    Liebe Grüße!

    Antworten
  • Andreas Wilde
    1. Juli 2020 15:48

    Hey Christian,
    ich finde deine Review gibt einen guten Überblick über das Spiel im derzeitigen Zustand, danke dafür! Ich denke die angesprochenen Kritikppunkte sind berechtigt und wir werden uns richtig viel Mühe geben das Spiel bis zum Release auch für Einsteiger spaßig zu machen.

    Ein erster Schritt ist getan, indem man jetzt im Spielstart bewusst auswählt welche Sonderastronauten man im Spiel haben möchte oder nicht (App-Update vom 25ten Juni) und man das erste Spiel ganz ohne Sonderkarten bestreitet. (Da hatte sich bis vor dem 25ten Juni ein Bug eingeschlichen!)
    Wir denken ausserdem darüber nach eine Boardingliste (Wer ist eigentlich an Bord?) per Knopfdruck anzubieten und einer unserer ersten Stretchgoals ist ein vertontes Tutorial. 🙂

    Antworten
    • Christian
      1. Juli 2020 15:51

      Das hört sich super an! Die Auswahl habe ich gesehen und auch der Einstieg mit der langsamen Freischaltung von Karten, ist gelungen.

      Antworten
      • Andreas Wilde
        1. Juli 2020 16:14

        Und noch eine kleine Anekdote zum Thema „Fluten tut nur der Delfin“ -zumindest glauben das Alle. Eine Mitpielerin hat uns neulich in die Irre geführt indem sie die Flutung „gefaked“ hat. Die Flutung wurde durch einen menschlichen Mitspieler verhindert, aber die beiden „echten Delfine“ hatten ab diesem Zeitpunkt vertrauen in die falsche Mitspielerin und wurden tatsächlich besiegt. Das Metagame überrascht mich auch noch manchmal. 🙂

        Antworten

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