Green Team Wins ist ein Partyspiel. Aber irgendwie auch nicht. Fast taugt es als Sozialstudie und genau hier wird es interessant. Selbst dann, wenn ich nur nach Nutella mit oder ohne Butter frage. Ich weiß nur gar nicht, ob die meisten Spielenden das Experiment mit sich selbst bemerken. Bevor ich hier ins Detail gehe, wollen wir der Struktur des Blogs zunächst folgen und im Kurzcheck die harten Fakten klären.
Kurzcheck: Darum geht es in Green Team Wins
Das Spiel ist einfach und genau darum kannst du es nach den nächsten Sätzen auch schon direkt spielen. Alle am Tisch erhalten ein Plättchen. Das ist auf der einen Seite grün und auf der anderen orange. Nun bekommen alle noch ein abwischbares Schreibbrett und einen Filzstift. Dazu mischt ihr aus drei Kategorien jeweils 5 Karten zu einem Deck mit Fragen zusammen. Jetzt zieht ihr eine Karte und lest sie vor und jeder beantwortet sie im Geheimen über das Schreibbrett. Entweder müsst ihr euch zwischen zwei Optionen entscheiden, eine Frage über drei Antwortmöglichkeiten beantworten oder ein vorgegebenes Wort vervollständigen. Das wäre jetzt aber ziemlich lahm. Kommen wir zum Kniff. Was richtig ist, entscheidet die Mehrheit. Seid ihr mit eurer Antwort in der Gruppe der Mehrheit, dreht ihr euer Plättchen auf die grüne Seite und erhaltet einen Punkt. Falls ihr vorher schon im Team Grün wart, bekommt ihr sogar zwei Punkte. Seid ihr es nicht, seid ihr im orangefarbenen Loser-Team und bekommt gar nichts außer Spott. Dauerhaft immer in der Mehrheit zu sein, ist also der Schlüssel zum Sieg. Klingt in der Theorie ziemlich billo, aber gerade in größeren Gruppen geht es heiß her. Zeit, genau diese Hitze zu untersuchen.

Das Offensichtliche
Bleiben wir bei der Nutella. Was denkst du, schmieren sich die Menschen am Tisch unter die Nutella Butter? Sind sie lieber einen Tag ein hyperaktives Erdmännchen als mehrere Monate ein chilliger Schmetterling? Mit welchen Vorsilben würdest du das Wort „____wehr“ versehen? Dir springen sicher direkt die Antworten ins spielerische Gesichtsfeld. Da braucht doch keiner lange überlegen, oder? Also schnell die Antwort aufschreiben und darüber ablachen, dass andere aus Team Grün hinausfliegen und selbst stolz die Brust recken. Green Team Wins. Am besten spielt es sich in großen Gruppen. Nicht umsonst kann hier mit bis zu 12 Personen um die Mehrheit gerungen werden. Immer ohne Downtime. Immer ohne große Regelerklärung. Ein Heidenspaß, sich über die Mehrheiten am Tisch zu amüsieren. Doch der große Witz schlummert hinter dem Offensichtlichen.

Ich sind das Volk
Der für mich versteckte Witz des Spiels ist es, immer wieder zu beobachten, dass eigentlich die Frage aus einer persönlichen Überzeugung über den klaren „Geschmack“ beantwortet wird und nicht nach dem Mehrheitsgedanken. Der Mehrheitsgedanke ist der Trugschluss, weil ich ihn mit dem ganz persönlichen gleichstelle. Ich habe diese Perspektive an mir selbst beobachtet, aber ebenso bei anderen Mitspielenden. Natürlich mag ich Nutella, nur eben ohne Butter. Das ist doch normal! So sind wir. Wir … äh ich sind die Mehrheit. So ist es doch richtig! Bei Green Team Wins schleicht sich ganz unbewusst das Gefühl ein, dass das, was ich meine und ausmacht, doch auch das ist, was die Mehrheit denkt. Ich bin Mehrheit.
Verdammte Scheiße, so ist es aber eben nicht. Plötzlich werde ich mir bewusst: Ich stehe überhaupt nicht für die Mehrheit. Und das merken auch alle anderen am Tisch. Da geht dann die Diskussion los. WAAAAASSSS? Ich kann dieses Wort gar nicht „laut“ und „groß“ genug schreiben, so oft prügelt sich dieses Wort über den Spieltisch. Dass diese Diskussionen und Überraschungen aufkommen, liegt nach meiner Einschätzung auch an den redaktionell gut ausgewählten Fragen. Diese wirken banal, bilden aber Fragen ab, bei denen die Frage nach der Mehrheit offensichtlich scheint, sich aber meine eigene persönliche Tendenz als natürliche Mehrheit reinschummelt. Diese Tendenz, sich selbst zu einer vermeintlichen Mehrheit zu fühlen, damit spielt dieses Spiel. Und genau das macht es großartig! Wir alle fallen bei den Antworten immer wieder „aus allen Wolken“ und das auf spielerisch niedrigschwelligste Art.

Die Bedeutung des Ganzen
Was in Green Team Wins auf spielerische Weise geschieht, ist ein großartiges Beispiel für das, was die Sozialpsychologie den „False-Consensus-Effekt“ nennt. Menschen neigen dazu, die eigene Meinung, Haltung oder Vorliebe als weiter verbreitet einzuschätzen, als sie tatsächlich ist. Das ist eine zutiefst menschliche „Mechanik“, die hier in eine spielerische überführt wurde. Wir nehmen unsere Überzeugungen nicht nur als eine mögliche Sichtweise wahr, sondern als etwas, das aus unserer persönlichen Perspektive „normal“ oder eben natürlich erscheint. Ein Pierre Bourdieu hätte wohl Spaß an diesem Spiel, denn vermutlich liege ich nicht so falsch, wenn ich behaupte, je nach Spielgruppe und deren Habitus werden auf die Antworten gänzlich andere Natürlichkeiten angenommen. Im Regelfall geschieht das Zusammentreffen solch unterschiedlicher Gruppen wohl kaum beim Spielen von Green Team Wins, es wäre wohl aber ein Heidenspaß und das „WAAAAASSSS?!“ am Tisch würde explodieren.
Doch noch ein zweiter Effekt kann sich breitmachen, und zwar dann, wenn bei der Beantwortung der Frage wirklich an eine mögliche Mehrheit taktisch gedacht wird. Es ist dann das genaue Gegenteil des obigen Effekts. Was glauben wir denn, was die Mehrheit von etwas ist und warum? Im Kleinen produzieren wir hier als Spielgruppe eine soziale Wahrheit. Eine Mehrheit, entstanden aus dem, was wir denken, weil wir meinen zu wissen, was andere in Form der Mehrheit als normal betrachten. Auch hier kann es Überraschungen bei den vermeintlich richtigen Antworten geben. Noch wilder wird es, wenn sich alle am Tisch selbst verraten, weil sie an eine vermeintliche Mehrheit denken. Was sagt dann am Ende eigentlich diese Art der „Fake-Mehrheit“ aus? Green Team Wins bleibt und will am Ende natürlich ein Partyspiel sein, aber der Spielspaß, der hier entsteht, steht auf interessanten Füßen. Um mir selbst gerecht zu werden: Ja, Green Team Wins macht auch dann Spaß, wenn der Mehrheit am Tisch bei „____sack“ nur Hoden einfällt. Infantil geht hier auch und das ist für ein Partyspiel ebenso wichtig!

Fazit
Green Team Wins ist ein charmantes Verwirrspiel über unsere eigenen Überzeugungen. Es ist und bleibt ein herrlich einfaches und spaßiges Partyspiel, besitzt aber als Spiegel menschlicher Selbstwahrnehmung eine weitere interessante Ebene. Zwischen Lachsalven, Blödeleien und hitzigen Diskussionen um Mehrheiten, die außerhalb dieser Mehrheit alle fassungslos anzweifeln, entlarven deren schockierte Gesichter eine weitere Wahrheit: Wir alle halten uns für die Mehrheit. Und genau hier liegt der versteckte Zauber. Mit jedem „WAAAAASSSS?!“ am Tisch bricht kurz der eigene Bezugsrahmen zusammen, und genau darin liegt die reizvolle und spielerische Schönheit dieses Spiels. Es entlarvt unser Bedürfnis nach kollektiver Bestätigung und stellt infrage, was eine Mehrheit wert ist, wenn sich alle nach einer vermuteten Mehrheit ausrichten. Diese Dynamik entsteht allerdings in einer Atmosphäre aus Lachen, Anzicken und heiterem Schlagabtausch. Green Team Wins verbindet so einfachen bis infantilen Partyspaß mit Selbstreflexion und famoser geschaffener Leichtigkeit innerhalb der Spielgruppe mit tieferer Erkenntnis über genau diese Menschen. Am Ende steht fest: Green Team Wins. So oder so.

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4 Kommentare. Hinterlasse eine Antwort
Sehr interessant. Zum ersten Mal seit längerem wieder ein Partyspiel, das mich interessiert. Wäre bzw. bin ich auf der Messe einfach dran vorbeigegangen, ohne einen Blick drauf zu werfen. Danke für die Anregung.
Habs mit 4, 6, 9, 10 und 11 Personen gespielt und sehr unterschiedlichen Gruppen und teilweise kannten sich die Leute auch nicht. Hat immer geklappt und Spaß gemacht. Die Spielzeit ist auch nicht wirklich lang. Einfach ein witziges ind kurzweiliges Vergnügen und Spiel, dass je nach Gruppe mehr bietet als einfach nur Fragen zu beantworten.
ui, das ist Mal ein toller Geheimtipp-Test.. danke dafür.
ich habe eine Spielrunde mit Ex-Kollegen von meiner Arbeit, die überhaupt sehr wenig Brettspiel-Erfahrung haben… bis auf Just one und Codenames kann ich da wenig anbieten… DAS Spiel wird beim nächsten Mal auf den Tisch kommen🤜🤛
Echt spannend zu lesen. Partyspiele sieht man hier ja sonst selten, aber das macht den Test so interessant. Ein Spiel, das ich mal mit meiner WG ausprobieren muss.