Lesezeit: 6 Minuten
Catan: EnergienBei Catan: Energien drückten die Synapsen bei mir sofort den Buzzer der Marke „Braucht man das?“ Ja, Catan ist bei mir einer der Grundsäulen, warum ich heute Brettspiele so liebe und damit ein elementarer Titel meiner eigenen Vergangenheit. Ich spielte damals solo vierhändig, ich spielte mit Hausregeln, um die Rittermechanik zu erweitern, ich spielte und spielte dieses Spiel. Nur in den letzten gefühlt 20 Jahren kam Catan nicht oder kaum mehr auf den Tisch. Überholt von Titeln mit pfiffigeren Mechaniken, spannenderer Interaktion und weniger Einfluss durch Glück. Ich packte es in meine Nostalgieschublade. Jetzt aber wirbelt Catan: Energien Staub auf und ich frage mich, kann mich so ein Titel wieder fesseln?

Kurzcheck: Darum geht es in Catan: Energien

Vorbei ist die Siedlerzeit. Catan ist in der Moderne angekommen und braucht für Dörfer und Städte nun Energie. Damit sind wir auch direkt bei der Neuerung. Um den Energiebedarf der Insel zu decken, braucht es Kraftwerke. Und mit diesen Kraftwerken bekommt Catan einen spielerisch zweiten Anstrich verpasst. Druck entsteht nun durch ein mögliches vorzeitiges Spielende. Und neue Ereignisse schütten Belohnungen aus, je nachdem ob man mehr auf fossile Brennstoffe oder grüne Energie setzt. Auch der Bau von Dörfern und Forschungsstädten verschränkt sich hier mit der Ereignismechanik, weil der Ausbau nun negative Auswirkungen auf die Umwelt hat. Zwar ist der Spielaufbau, die Hexfelder, Würfelzahlen für die Rohstoffgewinnung, die verschiedenen Rohstoffe und all die anderen Elemente wie längste Handelsstraße oder das Handeln untereinander geblieben. Trotzdem ist das Spielgefühl verändert. Catan: Energien spielt sich dynamischer, weniger fokussiert auf die zwingende Ausbreitung und legt im Anspruch ein kleines Schippchen obendrauf. Wie also funktioniert das nun genau mit der Energie?

Catan: Energien
Bekannt und doch anders!

Vorsicht vor dem Ausbau!

Elementare Neuerung bei Catan: Energien ist die globale Verschmutzungsleiste. Jede Stadt, jetzt Forschungsstädte genannt und jedes Dorf produziert nun Verschmutzung, wobei Forschungsstädten mehr Verschmutzung produzieren. Am Anfang jeden Zugs, noch bevor die Ressourcenwürfel mit lauten Gebeten zum Würfelgott auf den Tisch geschmettert werden (manche Dinge ändern sich halt nie), müssen nun aus einem Beutel Ereignischips gezogen werden. Die Anzahl an Chips bestimmt die Verschmutzungsleiste. Die Ereignischips decken hierbei verschiedene thematisch passende Faktoren wie beispielsweise Luftverschmutzung, Starkregen und Überflutung, Klimakonferenzen oder staatliche Förderung ab. Übrigens: Sind keine Chips mehr im Beutel, ist das Spiel vorbei und die Person mit der nachhaltigsten Energieproduktion gewinnt, egal wie viele Siegpunkte erspielt wurden.

Unten links die globale Verschmutzungsleiste.

Die gezogenen Chips lösen aber nicht direkt das Ereignis aus, sondern werden zunächst auf eine Leiste gelegt, entsprechend ihrer Art. Erst wenn die Leiste gefüllt ist, schlägt euch das Ereignis die Konsequenzen um die Ohren. Durch die Leiste kann man sich besser auf zukünftige Ereignisse einstellen, gleichzeitig sind die Ereignisse oft für die Personen schlecht, die eine miese Klimabilanz aufweisen oder positiv für die Spielenden, die am meisten grüne Energieproduktion besitzen. Ist das nicht unfair? Und wer setzt denn dann auf fossile Brennstoffe?

Ereignis incoming …

Die spannende Krux

Nun sind wir bei einer weiteren Verschränkung. Die Frage ist nämlich, was bringen diese gebauten Kraftwerke eigentlich?  Ganz einfach: Die Kraftwerke werden an Dörfer ( 1 Slot) oder Forschungsstädten (3 Slots) angelegt und damit auf ein Hexfeld. Wird nun mit den Rohstoffwürfeln ein Hexfeld aktiviert, bekommt man nicht nur wie gewöhnlich die entsprechenden Rohstoffe, sondern durch ein vorhandenes Kraftwerk auch Energie. Diese Energie sammelt man auf seinem Tableau und kann sie für diverse Dinge ausgeben. Wie wäre es die gefürchtete 7 mit der Aktivierung des Räubers … äh Umweltinspektor so zu entschärfen, dass 10 Handkarten auch noch in Ordnung sind? Oder du kaufst dir damit Ressourcen deiner Wahl? Ich sag euch, Energie ist ein Schlüssel zum Sieg. Grüne Energie ist aber teuer in der Anschaffung!

Hier kommt eine weitere Neuerung: Forschungsstädte geben wie bisher keine zwei Ressourcen, sondern eine Ressource und eine Forschungskarte. Mit den Forschungskarten lassen sich Kraftwerke bauen, wobei die Öko-Kraftwerke dreimal so teuer sind. Autsch! Irgendwie ist fossile Energie für einen guten Pusch im Spiel gar nicht so schlecht! Und schau, das Ereignis Produktionssteigerung belohnt sogar die Person mit der schmutzigsten Energieproduktion, weil kostenlos weitere braune Kraftwerke gebaut werden können und dies sogar direkt mit Rohstoffgewinnung belohnt wird. Das Kohleimperium! Wuharharhar, ich bin der Schmutzbaron. Okay, plötzlich ist die globale Verschmutzung so hoch, dass mehr Chips gezogen werden. Schnelleres Spielende. Für mich Schmutzbaron schlecht, weil ich so definitiv verliere, egal wie viele Siegpunkte ich habe. Gut, dass man mit Energie braune Kraftwerke wieder abreißen kann. Baue ich halt später grüne Kraftwerke, die übrigens neue Ereignischips in den Beutel befördern. Wenn es denn ein Später gibt … äh, plötzlich wird Catan: Energie trotz simpler Mechanik ziemlich thematisch. Und damit sind wir beim letzten Punkt. Vielleicht dem wichtigsten!

Das neue Tableau. Noch keine Energie produziert!

Direkt vom Tisch

Natürlich habe ich meinen Kindern den Klassiker Catan gezeigt. Und ich habe sogar eine Kinderversion. Haben die Kinder das Spiel eingefordert zu spielen? Weniger. Bei Catan: Energien ist dies anders. Durch die aktuellen Debatten um die Klimakrise, die auch meine Kinder beschäftigt, zieht dieses Spiel am Tisch ganz anderen Tabletalk an. Was, du baust ein braunes Kraftwerk? Und jetzt auch noch eine Forschungsstadt? Jetzt müssen wir drei Chips ziehen! Ja, die globale Verschmutzungsleiste ist als kooperatives Element klasse. Es herrscht hier auch mehr Wettkampf. Die Vorteile der guten und grünen Ereignisse will man bekommen. Doch alles, was man baut, entfernt einen davon, es sei denn, man investiert viel in grüne Energie. Wettstreit! Spannung! Das passt.

Gleichzeitig gibt es auch Partien, da war ich oder meine Kinder gern der Schmutzbaron. Gehässige Kommentare kitzeln dann das Ohr, aber dafür sprudelt günstige Energie und mit Glück pusht einen so manches Ereignis noch. Gut, meistens laufen die Ereignisse gegen einen, aber wer das mit einplant, kann auch so gewinnen! Sollen die anderen doch mit ihrer grünen Energie das Spiel verlängern. Diese Stimmung und der Tabletalk gelingt nur, weil die Mechanik von Catan: Energie das Thema gut verpackt, wenn natürlich auch enorm reduziert. Es ist damit aber thematisch aktueller, spielerisch interessanter und bietet mehr Ansatzpunkte für Tabletalk als der Klassiker. Und all das, was man am Klassiker lieben kann, wie das Handeln Streiten, das Zittern beim Würfeln, die wilden Diskussionen beim Versetzen des Umweltinspektors, findet zusätzlich statt.

Erste Kraftwerke entstehen. Dazu durch Umweltverschmutzung Blockaden von Einnahmequellen.

Fazit

Wer mit dem Grundprinzip von Catan nichts anfangen kann, weil das unfaire Handeln mit den fiesen Nasen aus der Familie dich ebenso zur Weißglut treibt wie die immer unpassenden gewürfelten Zahlen, der erlebt auch in Catan: Energien seinen Albtraum. Und ich gebe zu, ich war hier auch schon so richtig angepisst! Aber gehört dies nicht auch ein wenig zur Magie des Catan-Konzepts dazu?

Wer diese Magie ebenso spürt, der wird mit Catan: Energien das bessere Catan erleben. Spielerisch ist es eine Spur interessanter, weil mit der Energiegewinnung in Verschränkung mit der globalen Verschmutzung eine spannende Ebene hinzugefügt wurde. Das ist hier kein thematischer Abklatsch, sondern das Spielgefühl ändert sich unter dem klassischen und bekanntem Unterbau merklich. Energie ermöglicht ganz neue Aktionen und jedes Bauen erhöht die globale Verschmutzung, was wiederum das Spielende schneller einleiten kann. Dazu gesellen sich thematisch passende Ereignisse der aktuellen Klimakrise, die weiteren Wettkampf um Boni generieren. Ich begrüße die etwas erhöhte Spieltiefe. Größter Pluspunkt ist dank des Themas und deren Einbettung aber die Stimmung am Tisch. Es dreht sich nicht nur darum, wer nun Getreide gegen Holz tauscht und wer am schnellsten Städte baut, sondern warum du mit deinen braunen Kraftwerken so dermaßen abstinkst. Im doppelten Sinne! Mir hat dies überraschenderweise mehr Spaß bereitet als gedacht. Entsprechend kann ich Catan: Energien als gutes Upgrade bedenkenlos empfehlen.

Catan: Energien

59,99 €
8

MATERIAL

7.5/10

SPIELIDEE

8.5/10

SPIELSPASS

8.0/10
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2 Kommentare. Hinterlasse eine Antwort

  • Auch bei mir kam Catan (auch als 2-Spieler-Kartenvariante) damals sehr oft auf den Tisch. Ich hätte auch nichts dagegen, es mal wieder zu spielen, fände ich Gleichgesinnte.

    „Catan Energien“ mag spielerisch wesentlich interessanter und reizvoller sein, aber für mich hatte Catan eben den Charme, aus der Realität für einen Moment spielerisch in eine recht einfach gestrickte Idylle abdriften zu können. Die tatsächlichen Probleme des Alltags brauch ich in dieser Welt eigentlich nicht. Was kommt denn dann als Nächstes? Kriegstüchtigkeit in Catan?

    Antworten
    • Hallo KK,

      das Wunderbare ist ja, du kannst dein altes idyllisches Catan noch immer spielen. Es wurde hier nichts ersetzt. Es ist thematisch nur genauso wie bei den vielen anderen Ablegern (Games of Throne, Aufbruch der Menschheit, Aufstieg der Inka usw.) etwas dazugekommen. Nicht jedes Thema muss einem liegen. Wir hatten die Diskussion ja schon bei Hegemony, was du oder ich am Brettspieltisch erleben möchte oder eben nicht. Ich beschäftige mich auch gerne spielerisch mit aktuellen Themen wie auch historischen Gegebenheiten (Wir sind das Volk, Weimar: Kampf um die Demokratie) und begrüße daher den Mut, solche Themen zu präsentieren. Zumindest dann, wenn sie gut verpackt sind. Probleme das Alltags (oder der Vergangenheit) gehören für mich auch auf den Brettspieltisch. Nicht nur, aber auch, weil es mir eine Möglichkeit gibt, mich dem Thema anders zu widmen.

      Liebe Grüße

      Christian

      Antworten

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