Kurzcheck: Darum geht es bei Disney Lorcana
Disney Lorcana ist ein Sammelkartenspiel. Du kaufst also einen Starter, in dem die Anleitung, ein fertiges Deck und weiteres Material für das Spiel schlummern und kaufst dann über den Sekundärmarkt gezielt oder über Booster weitere Karten um dein Deck zu verfeinern oder ein gänzlich neues zu erstellen. Das Spielen ist also nur ein Teil des Hobbys. Es geht hier um das stetige Sammeln von neuen Karten und das Anpassen deines Decks. Der Einsatzbereich geht vom Wohnzimmertisch mit Freunden und Familie bis hin zu organisierten Turnieren.
Mechanisch ist Lorcana für die Zielgruppe ab 8 Jahren erst einmal einfach gestrickt. Meine Kinder (9 und 12 Jahre) haben sich beispielsweise das Spiel selbst beigebracht und das richtig. Dein Ziel ist das Sammeln von 20 Legendenpunkten. Dafür brauchst du Charaktere, die du durch Aktivierung auf die „Suche“ schickst. Je mächtiger der Charakter, desto mehr Legendenpunkte kann er sammeln. Das Problem, die Charaktere musst du natürlich erst einmal ausspielen. Hier kommt die Tintenmechanik ins Spiel. Jede Karte hat Tintenkosten, die du durch das Tappen von Tintenkarten bezahlen musst. Der Witz, einmal pro Zug kannst du eine Handkarte in deinen Tintenbereich verdeckt ausspielen. Die Karte ist jetzt zwar aus dem Spiel, aber ermöglicht dir als Tinte das Ausspielen von anderen Karten. Ein einfacher, aber wirklich cooler Kniff, weil du dir durchaus überlegen musst, welche Karten du ausspielen willst, vielleicht auch in späteren Runden und welche du für den Tintenvorrat vernichtest. Dazu gesellt sich dann natürlich allerhand Symbiosen zwischen Karten, die Möglichkeit zu Kämpfen und besondere Karten wie Lieder oder Aktionen auszuspielen, die das Spiel durcheinanderwirbeln.
Gescheitert!
Klingt geil, oder? Und ich gebe zu, obwohl ich das System der Sammelkartenspiele eher ablehne, dass ich richtig bock hatte. Ich hatte nur zuerst gar keine Chance Lorcana zu spielen. Meine Kinder schnappten sich die zwei Starter, lasen die Regeln und wollten die coolen Karten um ihre Disney-Held:innen gar nicht mehr hergeben. Spiel ich halt später und … was ist das? Ich hörte Gekreische, das sich in einem Crescendo zu wutuntermalten Weinattacken verwandelte. Der Papa als Richter, Henker und Sozialpädagoge in einer Person betrat das Kinderzimmer. Es gab Streit, weil das eine Deck gar keine Chance hat, das Spiel wäre viel zu schnell vorbei und Lorcana sei eh voll unfair. Meine Kinder spielen das Pokémon-Sammelkartenspiel oder Deckbau-Kartenspiele wie Shards of Infinity, darum war ich über diese Ausführungen etwas überrascht. Ich griff in den Topf der Weisheit wie ein milder Triton und erklärte meinen Meermännern, dass man die Decks erst einmal kennenlernen muss und man doch auch wenn es schlecht läuft, einfach seine Hoffnung in der nächste Partie suchen kann. Ich schloss mit dem Sing-Sang „Lass das mal den Papa machen!“.
Und Papa machte das, spielte vier Partien. Und war stellenweise völlig entnervt! In einer Partie stand ich kurz vorm Heulanfall und biss in die Tischkante. Natürlich nur innerlich. Vor den Kindern wollte ich die weise Triton-Fassade beibehalten. Mein innerliches Fazit: Das eine Deck hat gar keine Chance, das Spiel ist viel zu schnell vorbei und Lorcana ist ziemlich unfair. Verdammt, hatten das nicht meine Kinder gesagt? Was ist denn hier los?
Warum?
Ganz einfache Geschichte. Die Decks sind in ihrer Zusammenstellung der Karten suboptimal. Klar, man soll halt weitere Booster kaufen. Geschenkt! Aber das die angelegten Symbiosen wirklich so schlecht auf den Tisch kommen, ist schon frustrierend. Das Smaragd-Rubin-Deck klaut anderen die Legendenpunkte, kann das andere Deck durch Fähigkeiten ausbremsen und besitzt einige sehr starke Kampfelemente, weil Charaktere unangreifbar sind. Das Saphir-Stahl-Deck ist eigentlich nach meinem Geschmack. Teure, mächtige Charaktere, die das Deck schneller ausspielen lässt, weil es eine beschleunigende Tintenproduktion besitzt. Das allgemeine Problem, gerade bei dem Saphir-Stahl-Deck, die Häufigkeiten der wichtigen Karten ist zu gering und zu selten spürt man einen Flow. Dafür gibt es zig langweilige und unbrauchbare Füller-Karten.
Spielerisch floppt dann unter diesen Gesichtspunkten auch die Tintenmechanik. Du startest mit sieben Handkarten. Wenn du pro Runde eine Karte ausspielst und zusätzlich eine in den Tintenvorrat legst, damit du dir über die Zeit teurere Karten kaufen kannst, dann hast du relativ schnell nur noch eine Handkarte. Nämlich die, die du pro Runde ziehen kannst. Spannung geht anders! Dazu sind die Partien dann wahnsinnig schnell vorbei. Man sieht nur ein Bruchteil der 60 Karten aus seinem Deck. Als frustrierende Kirsche auf dem Sahnedesaster: meist hatte ein Deck mehr Glück und versohlte dem anderen so richtig den Arsch. Es gibt da Draußen sicher andere Erfahrungen, aber die Starter sind bei uns krachend gescheitert und dabei habe ich diese miese Qualität der Tokens gar nicht mit einbezogen. Ja, Starter anderer Sammelkartenspiele sind auch nicht der größte Bringer, aber das heißt nicht, dass es Lorcana ebenso gestalten muss und vor allem ist es aus meiner Sicht die Spitze des negativen Eisberges.
Rosige Zukunft?
Auch wenn die Starter durchgefallen sind, muss man konstatieren, dass Lorcana von Disney und Ravensburger rein spielerisch abseits der Starter sehr viel richtig macht. Es gibt zig Symbiosen und Fähigkeiten, die das Bauen von Decks interessant machen. Es ermöglicht sehr unterschiedliche Strategien und ich kann verstehen, warum Fans von Sammelkartenspielen gerade heiß laufen. Wer genügend Geld mitbringt, sich all die spielerisch coolen Schätze zu gönnen, wird verdammt viel Spaß mit dem Spiel haben können. Und das Thema sollte dabei dann auch nicht vergessen werden, denn die Disney-Held:innen aktueller und vergangener Tage ziehen einen ja durchaus in den Bann. Günstig ist das hier für den Normalsterblichen aber nicht, es sei denn man vergleicht es mit Magic, dem King of TCG. Da kosten turnierfähige Decks allerdings oft mehrere hundert Euros.
Fragwürdig!
Nur kurz anschneiden möchte ich die grundlegende Mechanik von Booster, die dem Glücksspiel nicht unähnlich sind und dazu verleiten, mehr von den Booster zu kaufen als es gesund ist. Der Kick beim Öffnen gehört dazu, aber ebenso, dass oft wichtige und spielerisch interessante Karten oft seltener sind. Klar, reflektierte Spieler:innen kaufen bewusst und vor allem gezielt Karten über den Sekundärmarkt, allerdings ist das Kartenspiel ab 8 Jahren und kollidiert aus meiner Sicht durchaus mit den Werten des Ravensburger Spieleverlags. Das kann man durchaus kritisch sehen, vor allem weil es andere Systeme (z.B. LCG) gibt, die diese Problematik umschiffen.
Fazit
An dieser Stelle sei angemerkt, das für mein persönliches Fazit mit Lorcana weder die Booster-Sucht-Mechanik, noch die mögliche rosige Zukunft des Kartenspiels von Bewertung ist. Im Schlaglicht stehen die Starter und die sind leider durchgefallen. Das zerknickte Zettelchen als Spieltableau ist genauso unsexy wie die Tokens für Lebenspunkte, schlimmer aber wiegen die bewusst suboptimal gestalteten Decks, die selten einen Flow aufkommen lassen. Die vielen Füller-Karten lassen die Decks aufgedunsen wirken und welches Deck gerade wirklich Symbiosen erleben darf, ist reine Glückssache. Die Partien sind meist so unausgeglichen, das Kindertränen die Kinderzimmer fluten. Sie sind oft genug aber auch langweilig, weil die spezielle, im Kern gelungene, Tintenmechanik ohne unterstützende Symbiosen für eine viel zu schnell ausgespielte Kartenhand sorgt. Hopp hopp Kinder, wenn ihr Spielspaß wollt, dann kauft von eurem Taschengeld einfach weitere Booster. Schade, auch wenn dies zum Geschäftsmodell der Sammelkartenspiele gehört, hätte ich mir gerade von Ravensburger eine andere Vorgehensweise gewünscht, zumindest in der Gestaltung der Starter.
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4 Kommentare. Hinterlasse eine Antwort
Tatsächlich ein heiß erwartetes Review, daher vielen Dank für den ehrlichen Erfahrungsbericht. Auch nicht der erste welches einige Schattenseiten an Lorcana anmerkt, schade eigentlich das Thema und Kartendesign hat mich sehr angesprochen und wäre für die heutige Generation Kind sicherlich ein toller Fang. Als Geheimtipp für diese „Tintenmechanik“ kann ich euch Untamed Feral Factions als klassisches Kartenspiel ans Herz legen. Ebenfalls fantastisches Kartendesign und deutlich mehr Twist im Spiel dazu kommen zahlreiche Spielvarianten, lediglich die fehlende deutsche Übersetzung wird Familien leider abschrecken.
Als großer TCG Fan werde ich wohl die Finger von Lorcana lassen allein aufgrund der Preispolitik, welche nun nochmal eine andere Stufe zum Einstieg erreichen, hier bieten Magic, Yugioh und Co. deutlich bessere Einsteigerpakete.
Danke für deinen Bericht! kann deine Einschätzung aber überhaupt nicht teilen. ich habe die starter unzählige Male mit meiner Tochter gespielt. Klar, Ziehglück gibt es und auch die Decks sind nicht ganz ausgewogen. das habe ich auch schon bei MtG so erlebt, obwohl das tausende von karten hat und die starter dort ausgewogener sein sollten. es hat aber jedes Deck eine Chance. und wir hatten viel Spaß damit. wer gewonnen hat war uns nicht wirklich wichtig. die Booster machen das Spiel natürlich viel interessanter und ich bin sehr auf season 2 gespannt und hoffe, dass die Synergien noch besser werden. zum tcg Modell stimme ich dir zu, sollte erst ab 18 erlaubt sein, das ist unmoralisch, insbesondere weil sie 4!!! Seltenheitsformen genommen haben. für suchtanfällige ist das ganz gefährlich. und was mich wundert, du bist gar nicht auf die nicht vorhandene lore eingegangen. warum kämpft micky maus gemeinsam mit cruella gegen elsa und Ursula? warum kämpft anna gg elsa und kristoff. und warum kämpfen die überhaupt!?!
Hi Sven,
vielen Dank für deinen Eindruck. Ja, mit der Lore stimme ich dir zu. Ich finds auch komisch, wollte mich aber auf mein Hauptkritikpunkt konzentrieren.
Wir spielen halt auch innerhalb der Familie kompetitiv, wenn es das Spiel hergibt. Meine beiden Söhne halt miteinander auch. Die wollen schon gewinnen und dann sind die Starter aus meiner Sicht einfach frustrierend.
Ich lese immer wieder, dass das auch bei anderen TCG so ist. Dazu zwei Gedanken. Erstens empfand ich z.B. bei Pokemon die Starter thematischer und spielerisch interessanter, der Hauptpunkt ist aber, nur weil es bei anderen auch so ist, muss es Ravensburger ja nicht machen?! Nur weil es akzeptierte Gewohnheit einer Szene ist, ist es für mich kein Grund zur Kritik.
Ein Disney-Spiel für die Familie (ab 8 Jahren) sollte aus meiner Sicht bessere Starter haben, die spielerisch anfixen, ausgeglichener sind und wirklich Spaß machen, auch wenn man ernsthaft spielen will. Da sind die Starter bei uns leider völlig gescheitert.
Liebe Grüße
Christian
Hi!
Ein paar Punkte deiner Kritik möchte ich gerne kommentieren, da ich sie nicht gerechtfertigt sehe.
1.) Fehlende Balance bei Startersets: In Kartenspielen mit verschiedenen Typen und Klassen existiert ein Schere-Stein-Papier-Prinzip. Ein Deck performt abhängig von der verfolgten Strategie besser oder schlechter gegen andere Decks. Weder MTG noch YuGiOh oder Pokemon stellen eine Ausnahmen von der Regel dar. Generell ist ein Sieg aber in jeder Konstellation möglich, das liegt in der Natur der Sache.
2.) Fehlende Handkarten durch Tintenvorrat:
Auch hier richtet sich die Kritik nicht an Lorcana selbst, sondern an Kartenspiele mit Ressourcensystem. Sowohl in Magic als auch in Pokemon gibt es Länder bzw. Energiekarten, die auf der Starthand Platz wegnehmen. Der Vorteil bei Lorcana: Fast jede Karte kann als Ressource herhalten, was mir als Spieler mehr Flexibilität und Auswahlmöglichkeit beim Ausspielen der Karten schenkt. Die Mechanik ist als Pluspunkt zu werten.
3.) Fehlende Synergien:
Starter sind für das Lernen des Spiels gedacht, komplexe Synergien und Strategien lassen sich im nachträglichen Deckbuilding erarbeiten. Rein preislich liegt Lorcana nicht weit über vergleichbaren TCG. Alternativ finden sich einige Schlüsselkarten schon für wenige Cents auf Kartenbörsen wie Cardmarket. Für den Freizeitbereich reicht schon ein kleines Budget von 20€, um einem Starterdeck den Feinschliff zu verpassen.
Will deine Kritik damit nicht bombardien, finde einige Punkte aber nicht ganz fair.