Kurzcheck: Darum geht es in Etherfields
Wo du bist? Irgendwo. Wer du bist? Irgendwas. Orientierungslos erwachst du in einem Traum. Das klingt unmöglich, aber Etherfields spielt damit. Es ist spielerisch wie in seiner Gestaltung wunderbar mystisch. Etherfields ist ein Spiel im Spiel und besitzt zwei Ebenen. Die Traumlande als interaktive, groß angelegte Verwaltungsphase und die Träume und Schlummer als immer wieder thematisch neue, kreative Herausforderungen, die an eine Mischung aus The 7th Continent, Adventure Games und Deckbuildung erinnern.
Im Laufe der Zeit dringst du tiefer in die Traumlande ein, sammelst Gegenstände, verbesserst dein Deck mit mächtigen Karten, die du für die Aktionen im Spiel brauchst und triffst skurrile Wesen, um letztendlich Schlummer und Träume innerhalb der Traumlande zu besuchen. Wunderschöne Traumkarten entführen dich in absolut wirre, mystische und z.T. auch witzige Traumwelten, die immer mit neuen spielerischen Kniffen, Rätseln und Mechaniken aufwarten. Stets begleitet von einem Abenteuerbuch, weil die auszuführenden Aktionen auf den Traumkarten durch einen Zahlencode zu Abschnitten im Buch führen. Hier warten Storyhappen, Belohnungen und diverse andere Überraschungen. Die wirklich unzähligen Träume, die man nach und nach freischaltet, setzen also immer wieder neue spielerische wie optische Impulse. Innerhalb der Träume ist in Sachen Abwechslung Etherfields großes Kino. Theoretisch. Praktisch verläuft das Erlebnis in Wellen, die ihr jetzt mit mir absurfen dürft.
Welle 1 – Der Wahnsinn
Ich hielt diese fette Box in den Händen, deren Gestaltung an sich schon ein Meisterwerk ist. In der Box wartet dann das, was man von Awaken Realms erwartet: Hochwertiges, wunderschön gestaltetes Material in einer fast maßlosen Hülle und Fülle. Geil, ich surfte auf der Welle der Begeisterung. Schnell die Kartenpacks auspacken und …äh, Stopp! Hier war ich das erste Mal überfordert. Wo welche Kartentrenner einführen? Wie Karten einsortieren? Wer sich in Foren oder BGG umschaut, wird merken, ich war nicht der Erste mit Problemen. Es gibt für dieses Spiel ein privates Einsortiertutorial, weil die Anleitung keine Hilfe leistet. Unfassbar! Schwer genervt schnappte ich mir das Regelheft. Das sah optisch lecker aus. Etwas wirr, aber irgendwie verstand ich das Spiel – dachte ich.
Hass. Wut. Zorn. Leute, ich war angepisst! Das Tutorial fängt gut an, man merkt, der Ausflug Etherfields kann was richtig Gutes werden, aber schnell kommen Fragen auf und die Anleitung hilft nicht weiter. Sie taugt einfach für fast gar nichts. Das Spiel drischt dir Fachbegriffe um den Kopf. Der Spielaufbau war der Horror. Traumlandquadrate, Startquadrate, Schlummerquadrate. Packe dies dort hin, aber ersetze es jetzt und überhaupt. Schwindelanfälle. Ja, der erste Traum als Tutorial macht Spaß. Direkt schon hier Schalterrätsel, Monster ausmanövrieren, aber dieses Traumtutorial hört zu früh auf. Es erklärt nicht genug und plötzlich stehst du in den Traumlanden und bist dir unsicher. Wie kaufe ich jetzt Karten? Wie geht es weiter? Wie funktionieren die Schlummer? Das ist redaktionell einfach unmöglich, wie man hier im Regen stehen gelassen wird. Die Foren sind überflutet von verunsicherten Erstspieler:innen. Ihr kennt meine Metapher von der Halsschlagader und der Bockwurst? Hier passt sie wieder.
Welle 2 – Der Zorn
Es dauerte ungefähr 20 Sekunden innerhalb des Traumtutorial, bis ich mich fragte, wer dieses Spielbrett durchgewunken hat. Der Bereich, wo die Traumquadrate platziert werden, dort, wo man ständig mit seinen Figuren rumläuft, Karten dreht, mit Material interagiert und Zahlen und Texte in kleinster Schrift lesen muss, ist am Kopf des Bretts. Am Kopf ist das Äquivalent zu am Arsch der Welt. Entweder stehst du ständig auf, sitzt vorgebeugt verkrampft am Tisch oder schmeißt das Spielbrett in den Müll und bastelst dir selber was. Kein Witz, auch hier gibt es von der Community ein alternatives Spielbrett. Ich frage mich erneut, was hat die redaktionelle Leitung hier veranstaltet. Absolutes Totalversagen!
Nach dem ersten Traum, den ersten verdienten Schlüsseln, erfarmt aus Schlummern und den Traumlanden, um neue Träume zu besuchen, wollten wir dann die Kampagne speichern. Awaken Realms definiert in Etherfields das Speichern als wegräumen. Du resettest das Spiel komplett. Du darfst vorm Einräumen als Bonus noch deine Erfahrungspunkte für neue Karten ausgeben, der Rest verfällt. Dazu gehören teuer entwickelte Karten, die eigentlich traumübergreifend im Spiel bleiben oder andere Karten und Marker, die man für gewisse Fortschritte gesammelt hat. Abspeichern zerstört deinen Fortschritt! Auf der anderen Seite räumst du auch Schadenspunkte und versiegelte Karten ab. Das sind Karten, die du als Strafe temporär aus deinem Deck nehmen musstest. Speichern kann dir also auch helfen. Manchmal willst du weiterspielen, mechanisch macht dann aber speichern Sinn. Manchmal kannst du nicht weiterspielen, schließlich braucht man den Tisch noch für andere Sachen und musst dich hart bestrafen. Was soll das?!
Welle 3 – Die Neugierde
Ich übertreibe nicht, meine Frau und ich haben uns wirklich jedes Mal aufgeregt, wenn wir Etherfields gespielt haben. Und das waren am Ende an die 20 Stunden! Warum haben wir uns das angetan? Ganz einfach, man spürt an jeder Ecke des Spiels die absolute Liebe zum Medium. Die Gestaltung ist genial. Wir wollten wissen, wie die Geschichte weitergeht. Was erwartet einen an spielerischer Herausforderung im nächsten Traum? Ich will nicht spoilern, aber es kommen echt interessante Mechaniken ins Spiel. Man sieht die Box, randvoll mit Content und will diese erkunden. Die sich wiederholenden Schlummer nerven ein wenig, aber vor allem die Träume sind als Spiel im Spiel erkundungswert. Wir spielten uns ein, wurden sicherer und ich bastelte ein neues Spielbrett. Ja, Etherfields beherrscht es einen anzutreiben, weiterzuspielen, nicht weil man so viel Spaß hatte, sondern weil man neugierig ist, welche kreativen Überraschungen warten. Eine Motivationsspirale, die sich leider knirschend mit der Zeit doch selbst erledigt.
Welle 4 – Die Aufgabe
Auch das hat einen Grund. Es ist eine Mischung aus weiteren redaktionellen Patzern, die stetige Verunsicherung gebar und ein sorgenloses, abtauchendes Spielen nie ermöglichte. Einfaches Beispiel. Wir begannen einen wirklich extrem coolen und spielerisch innovativen Traum. Erste Aktion meinerseits. Ich hatte sehr viele passende Karten für eine grüne Aktion auf der Hand. Im Startbereich des Traums gab es ein paar mögliche Aktionen, aber etwas weiter entfernt sah ich eine sehr kostenintensive grüne Aktion. Also bewegte ich mich aufgrund meiner Kartenhand dorthin. Wir schlugen die Aktion im Abenteuerbuch nach. Ich sollte Karte X nehmen und platzieren. Wo die Karte sich befand und wie die Mechanik zum Auslegen dieser Karte in dem Traum funktionierte, keine Ahnung! Wie gesagt, jeder Traum hat z.T. ganz eigene Regeln.
Quintessenz: Anleitung doch noch einmal anschauen. Dann Diskussionen: Was sollen wir tun? Genervte am Tisch. Wir wollten doch einfach nur Spaß haben. Im Laufe der Partie aktivierten wir dann eine dichter am Start befindliche Aktion des Traums. Dort wurde die Kartenmechanik über das Abenteuerbuch erklärt. Diese Aktion anfänglich zu überspringen war aber nicht nur valide, sondern im Sinne der Kartenmechanik logisch. Ich hätte kotzen können!
Etherfields fordert eine gewisse Leichtigkeit im Umgang mit Fehlern, Unsicherheiten und dem Agieren in der Kampagne. Wir sind in diesen Flow nicht mehr gekommen. Auch ist mir das versprochene Regelbiegen, das Interpretieren von Texten auf dem Spielmaterial insgesamt zu kurz gekommen. Hinzu kommt als letzter Sargnagel die Patzer in der deutschen Übersetzung! Es fehlen teilweise Texte zu den Belohnungen der Träume oder Sätze sind komplett verschluckt, die schlimmstenfalls den Fortgang der Kampagne torpedieren. Ein Gegenchecken in der englischen App ist ratsam.
Fazit
Etherfields scheitert für mich an zwei Dingen. Zuerst sind es die vielen redaktionellen Fehler, die teilweise nicht nur gravierend den Spielfluss hemmen, sondern erschreckenderweise schnell zu eruieren waren. Das Spielbrett ist eine Farce, das Abspeichern mindestens diskussionswürdig, dazu gesellen sich diverse, leider durchaus grobe Übersetzungsfehler, eine miserable Anleitung, ein zu kurzes Tutorial und in Summe zu viel spielerische Wiederholung in den Traumlanden. Ich weiß nicht, wie das passieren konnte, aber es wirkt so, als hätte sich Awaken Realms übernommen. Vielleicht ist Etherfields zu ambitioniert gedacht. Der Prozess nach der Kickstarter-Kampagne, dort sah das Spiel noch anders aus, war zumindest für mich ein Irrweg. Lieber auf ein paar Träume, Karten und Mechaniken verzichten, dafür dann aber in durchgehend exzellenter Qualität. Die ist partiell nämlich durchaus spielerisch vorhanden! Kreativ, bisweilen innovativ ist Etherfields allemal und die Optik ist eine Wucht. Mit einer anderen Einstellung wie auch Erwartungshaltung kann vielleicht langfristiger Spaß aufkommen. Für mich sind die Patzer bei Etherfields leider zu prägend und ein angenehmes Abtauchen in einen atmosphärischen Flow war nicht mehr möglich.
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4 Kommentare. Hinterlasse eine Antwort
Das macht mir Mut. 😂 ich hoffe dann einfach das die Überarbeitete Version beim Single Wave diese Probleme ausmerzt. Grüße, Frank
Viel Glück! Ich erhalte ja auch noch eine Wave 2. Ich glaube, einige Dinge werden sicher verbessert werden, für meine Frau und mich liegen viele Probleme aber tiefer als das da irgendein „Patch“ die Lage verbessert. Ich denke, eine andere Erwartungshaltung und ein Tisch, wo das Spiel permanent aufgebaut bleibt, sind zwei Faktoren die viel bringen. Wir waren irgendwann nur noch genervt. Wenn dieser Zustand aufgrund des Wissens um Probleme aber nicht eintritt, man von Anfang an eine eigene Leichtigkeit, Neugierde und Toleranz für suboptimale Redaktionsentscheidungen mitbringt, kann Etherfields auch heute Spaß machen.
Etherfields ist am Ende ein großes, innovatives Experiment, bei dem das Hineinarbeiten und die Unsicherheit echt dazugehört und mit der richtigen Einstellung vielleicht sogar als Spielelement verstanden werden kann. Ein neuer Traum ist dann eben durch Regeln nicht definiert. Du weißt nicht was du machen sollst, nicht im Sinne von Rätseln, sondern Mechanik. Das kann ja auch begeistert. Uns hat es gefrustet. Wir haben es nicht hinbekommen, weil die Patzer zu groß, das Spiel dafür zu teuer und die Erwartung durch den Kickstarter eine andere war. Aber vielleicht hilft euch genau das weiter.
Der Tisch steht seit Dienstag hier, aber ob das reicht bin ich mir nicht sicher mit deiner Beschreibung. Danke für die offenen Worte. Ich glaube das du und deine Frau viel mehr Geduld aufbringen könnt wie ich. (Das Maße ich mir mal an zu behaupten nach 2 Jahren hier lesen 😆) ich werde das jetzt mal auf mich zukommen lassen, wird ja noch dauern bis die 2. Wave hier einläuft. Wenn ich mir tainted grail so anschaue wird das wohl erst nächstes Jahr soweit sein.
Wir hatten hier dieselben Probleme, haben aber viel mit Hausregeln gelöst, beispielsweise haben wir so abgespeichert, wie wir das Spiel beendet haben, weil es ja legitim war, weiterzuspielen, als wäre es noch auf dem Tisch aufgebaut wie beim letzten Mal.
Gelegentlich spicken wir dann in die Skripte, um zu sehen, ob dort das steht, was wir erwarten, wenn wir gefühlt ratlos sind.
Aber du hast Recht, im Grunde ist das Spiel eine echte Zumutung, für die auch ich keine Erklärung habe. aber wir haben gestern Skip-bo gespielt und dort ebenfalls bemerkt, dass nirgends erwähnt wird, wie die Hilfsstapel gebildet werden – und ohne das ist die Anleitung genauso unbrauchbar. Schade, dass man sich in beiden Fällen „selbst behelfen muss“.